Thema: Zuckungen
Vor wenigen Tagenkam mir ein Artikel von Wolgang Kaschuba, Professor für Europäische Ethnologie, unter. Es diskutiert darin die Veränderungen des urbanen Raums, des öffentlichen Raums in den Städten. Es ging dabei eher um die großen Städte, die Metropolen, die Kölns und Berlins und Paris und Londons der westlichen Hemisphäre.
Aber es tauchte ein Satz auf, der eben nicht nur auf Metropolen trifft, sondern der möglicherweise mit noch viel mehr Berechtigung für Mittel- und Kleinstädte gilt.
W. Kaschuba spricht von einem "Gesamtkunstwerk Öffentlichkeit", den er als "unabgeschlossenen und prekären Prozess der Suche nach den Chancen und den Problemen eines urbanen "Wir"." versteht. Entscheidend ist dabei, dass das urbane "Wir" alle möglichen Akteure und Formationen, von der Stadtteilinitiative über kulturelle Initiativen bis hinein in Politik und Verwaltung meint, die in einem dauerhaften Aushandeln dessen stehen, was man übergreifend unter Stadtentwicklung versteht.

Kommen wir aber zu der Formulierung, die mich an Frechen hat denken lassen:
Künftig meint Öffentlichkeit damit aber auch in sozialer und politischer Hinsicht etwas tatsächlich Neues. Nicht mehr jenes "Justemilieu" der alten wirtschaftlichen und bildungsbürgerlichen Stadtelite, also jener Filz aus lokaler Politik, Verwaltung, Unternehmerschaft und Vereinswesen, der sich im Honoratiorengestus die Stadt zur Beute nahm.
Das, was W.Kaschuba mit die Stadt "zur Beute machen" beschreibt, ist in Klein- und Mittelstädten noch viel ausgeprägter als in den Metropolen, denn diese Städte sind in ihrer Entwicklung deutlich weniger dynamisch als Großstädte. Die tägliche Konforntation mit dem "Neuen", vorangetrieben durch den steten Zuzug von Menschen, die in der Großstadt ihre Zukunft suchen, findet in den kleineren Städten deutlich weniger statt.

Man nehme nur Frechen. Der wohl größte Gruppe der Zuziehenden, wenn wir die Flüchtlinge für einen Augenblick beiseite lassen, bestand in den vergangenen Jahren aus Familien aus Köln bzw. dessen Speckgürtel. Der Mittelstand, der seine Kinder in einer etwas ruhigeren Umgebung aufwachsen sehen will als im quirligen und lauten Köln.

Jedenfalls eine Bevölkerungsgruppe, die nicht zwingend angetreten ist, das "Justemilieu" aufzubrechen, gegen die Honoratiorenstrukturen, gegen "den Filz aus lokaler Politik, Verwaltung, Unternehmerschaft und Vereinswesen" (Kaschuba) angehen will.

Das aber ist erforderlich, wenn Frechen sich in bürgerschaftlichem Sinne weiterentwickeln soll. Auch Städte wie Frechen benötigen eine neue Form der Öffentlichkeit, eine neue Form des Diskutierens und Aushandelns der großen und kleinen städtischen Probleme.

Nur ein Beispiel, das Teile der Öffentlichkeit beschäftigt. Die FDP hat im vergangenen Jahr die Qualität des Trinkwassers zum Thema gemacht. ES gab mehrere öffentliche Veranstaltungen zum Thema, der Rat und seine Ausschüsse hat sich damit beschäftigt.
Wie immer sind die Lösungsoptionen nicht eindeutig. Das Frechener Wasser ist in Ordnung. alle gesetzlichen Grenzen werden eingehalten. Es könnte aber bspw. weniger Nitrat enthalten, wenn es aus einem anderen Trinkwasserbrunnen entnommen würde.
Will man jedoch, dass Frechen Wasser aus einem anderen Trinkwasserbrunnen erhält, so sind vorweg Investitionen in die Wasserleitungen notwendig, die in der Folge den Trinkwasserpreis für alle Frechener*innen deutlich erhöhen werden. Die Schätzungen sprechen von einer Erhöhung von 30 bis 50%.

Es gibt jetzt 2 Optionen:

a.) das Pferd ist inzwischen totgeritten, dann sollte man es aber auch dem Abdecker übergeben und beerdigen. Soll heißen: öffentlich erklären, dass das Trinkwasserthema nicht weiter verfolgt wird.
oder
b.) es ist noch quicklebendig und es soll weiter geritten werden.
Auch gut, dann aber wäre es nur konsequent und zielführend, wenn der Rat der Stadt Frechen sich ein eindeutiges Votum der Bürgerschaft abholt, ob die Mehrheit der Frechener*innen für ein nitratärmeres Trinkwasser bereit ist, einen deutlich höhren Trinkwasserpreis zu bezahlen.

Die Fakten liegen auf dem Tisch und der Rat könnte selber mittels eines von ihm initiierten Bürgerbegehren sich Klarheit verschaffen, in welche Richtung mit dem oder den betroffenen Wasserversorgern weiterverhandelt werden soll.

So aber verbleibt das Thema im "Themenspeicher" wird im Sommerinterview der FDP-Fraktionsvorsitzenden Kayser-Dobiey ein weiteres Mal vorgeführt und verschwindet wieder in der Versenkung .... bis man es bei der nächsten passenden Gelegenheit wieder ans Tageslicht zerrt.

Die FDP als Hauptakteurin in diesem Spiel hätte schon längst den Weg über ein Bürgerbegehren gehen können. Aber sie tut es nicht.
Vermutlich weiß sie um die Schwierigkeiten, eine skeptische Öffentlichkeit davon zu überzeugen dass massive Preiserhöhungen für sehr geringe Verbesserungen der Trinkwasserqualität gerechtfertigt sind.
Da ist es konsequent und zielführender, wenn dies im Rahmen des von W.Kaschuba als Filz beschriebenen "Justemilieu" ausgehandelt wird, wenn Politik und Verwaltung hinter verschlossenen Türen weiterverhandeln und irgendwann ein ihnen "genehmes" Ergebnis präsentiert werden.

Die alten Honoratiorenkreise wissen halt immer am besten, was der Stadt gut tut. Und eine echte demokratische Öffentlichkeit, die überzeugt werden muss und die mitentscheiden darf, die stört da nur.

So werden demokratische Potentiale verschleudert, wird Beute gemacht.