Thema: Inklusion
Diesen Text habe ich gerade gefunden. Er stammt aus Hessen.
Er kann aber beanspruchen, auch die hiesige Situation angemessen zu beschreiben.
Zuerst der Text, dann die Querverweise
Inklusion – Propaganda und Dilemma

Wer sich heute auf die Idee einer Schule für Alle konsequent einlässt, stößt in der öffentlichen Bildungspolitik auf viel Propaganda und wenig angemessene Realisierung. Hessens Bildungsadministration z. B. verfügt zwar über ein ‚Institut für Qualitätsentwicklung‘, dieses aber leider nicht über entwickelte Qualitätsdimensionen für die Umsetzung der UN Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Im Gegenteil wird auf verschiedenen Ebenen ein Argumentieren erkennbar, dass sich zwar scheinbar der Inklusion widmet aber offensichtlich andere, der Inklusion widersprechende Interessen verfolgt. So ergeben sich folgende Unvereinbarkeiten:
eine (freiwillige!) Verpflichtung zur Schaffung eines inklusiven Bildungssystems einerseits bei gleichzeitiger Verweigerung ausreichender Mittel zu seiner angemessen Umsetzung andererseits.
die Forderung nach gleichberechtigter Teilhabe aller Schülerinnen und Schüler bei parallel strikter Beibehaltung von Bildungsprivilegien durch den Erhalt von Gymnasien bzw. einem viergliedrigen Schulsystem.
So widerspricht es auch dem Grundsatz, dass niemand wegen seiner Behinderung aus der allgemeinen Schule ausgeschlossen werden darf, wenn unverrückbar am Zwei-Säulen-Modell (Regelschule – Sonderschule) festgehalten wird; und dies obwohl die geringe Effektivität und die hohen Kosten dieser Schulstrukturvarianten nachgewiesen sind.
Vollends unverständlich zu Inklusionsbeteuerungen gerieren sich das Zurücklassen von Kindern und Jugendlichen durch Zurückstellungen, erzwungenen Klassenwiederholungen – die nachgewiesen stark negative Entwicklungswirkungen haben; (s. die Hattie-Studie) – oder Abschulungen. Es zeigt sich: auf der Vorderbühne: wird propagiert: ‚alles soll sich ändern‘; auf der Hinterbühne wird realisiert, dass alles so bleibt, wie es schon immer im bundesdeutschen Bildungswesen war; … und wenn dabei noch gespart werden kann, wird dies intensiv betrieben.
Die Querverweise:

Die Verpflichtung zu Schaffung eines inklusiven Bildungssystems wird durch die Landesregierung aktuell nur unzureichend gefördert. Hier vor Ort werden alle lokalen Forderungen abgebügelt.
Die Bildungsprivilegien bspw. durch den Erhalt von Gymnasien und des viergliedrigen Schulsystems sollen in Frechen möglichst lange erhalten werden. So arbeitet die Stadtverwaltung zusammen mit dem Kreis an einer Neugestaltung des Förderschulwesens.
Das Festhalten am Zwei-Säulen-Modell (Regelschule – Förderschule) wird damit klar zum Ausdruck gebracht.
Das Aufbrechen des Schulsystems mittels einer Gesamtschule vor Ort wird boykottiert.
Abschulungen und Klassenwiederholungen sind an den Frechener weiterführenden Schulen keine Ausnahme sondern der Regelfall.

„Es zeigt sich: auf der Vorderbühne: wird propagiert: ‚alles soll sich ändern‘; auf der Hinterbühne wird realisiert, dass alles so bleibt, wie es schon immer im bundesdeutschen Bildungswesen war“

Das glit auch uneingeschränkt für Frechen.





travelfox42, Donnerstag, 16. Januar 2014, 09:35
Bin ganz bei Ihnen: Inklusion von Schülern mit Behinderung, die die Voraussetzungen für das Gymnasium erfüllen, ist im Sinne der von Ihnen viel zitierten UN-BRK und sollte und muss auch so umgesetzt werden.

Andererseits: Schüler mit Verhaltensauffälligkeiten und/oder Lernbehinderungen, die die Voraussetzungen für das Gymnasium nicht erfüllen, dürfen dort auch nicht zwangsweise unterrichtet werden müssen. Was sollen die dort? Sonst tritt nämlich der Fall ein, dass die Schüler dem gymnasialen Stoff gar nicht folgen können - und dann? Da hilft auch ein Sonderpädagoge nicht viel. Und am Ende hat niemand was davon.

Das hat mit "Bildungsprivilegien" nichts zu tun - so lange es Gymnasien gibt, gibt es auch Eingangsvorraussetzungen. Und die haben für alle zu gelten: Schüler mit und Schüler ohne Behinderung. Gelten sie für einen Teil von Ihnen nicht - aus welchen gute gemeinten Gründen auch immer - ist das auch nichts anderes als Diskriminierung. Und gerade die bekämpfen Sie doch sonst immer so vehement!


antoine favier, Donnerstag, 16. Januar 2014, 11:25
Wenn die Grundstruktur, hier also: das viergliedrige Schulsystem, systemimmanent diskriminierend ist - was viele Studien belegen - so ist das System in Frage zu stellen. Solange wir das "System" als solches akzeptieren, sind ihre Schlussfolgerungen zutreffen. Ich überlasse es Ihnen, meine Position in diesem Spannungsfeld einzuordnen.


travelfox42, Donnerstag, 16. Januar 2014, 11:58
Stimmt! Zäumt man somit nicht das Pferd von hinten auf, wenn man Inklusion im mehrgliedrigen Schulsystem einführen will? Müsste nicht erst das Schulsystem geändert werden, bevor man mit Inklusion beginnt? Nicht, dass das einfacher wäre...


antoine favier, Freitag, 17. Januar 2014, 16:32
Da die behinderten Kinder jetzt das individuelle und einklagbare Recht auf einen Schulbesuch an einer Regelschule haben, stellt sich die Frage nicht mehr. Wir operieren am offenen Herzen. Aber, seit 2010 gab es Bürgeranfragen im Rat zu diesem Thema - leider folgenlos.
Der Unwillen vieler Beteiligter darf sich nicht zu Lasten der Betroffenen auswirken. That's life.