Mittwoch, 21. November 2012
Thema: Inklusion
Dieser Satz fiel in der gestrigen Schulausschusssitzung (20.11.2012) aus dem Munde des Frechenen Beigeordneten Uttecht.
Er bezog sich dabei auf die geplante Richtlinie zur Mindestgröße der Förderschulen. Die Frechener Anne-Frank-Förderschule wird die in der Richtlinie geforderte Mindestgröße nicht erreichen und wird auslaufen.
Herr Uttecht will daran noch nicht so recht glauben, denn das flankierende Gesetz, das sogenannte 9.Schulrechtsänderungsgesetz ist umstritten. Mit diesem Gesetz sollen Teile der UN-Behindertenrechtskonvention in Landesrecht übersetzt werden. Das Gesetz wird kommen, denn in der von Bund und Land unterzeichneten Konvention sind einige Dinge formuliert, die für die Unterzeichner als Handlungsauftrag zu verstehen sind.
In Bezug auf unser Schulsystem hat die Konvention ein Recht des Kindes auf Beschulung in der Regelschule definiert. Aktuell wird dies leicht missverstanden, denn in der öffentlichen Debatte wird oft abgeleitet, dass damit ein Elternwahlrecht bezüglich des Bildungsortes des Kindes gemeint sei. Genau so hat es auch Herr Uttecht in der Sitzung formuliert: was aus den Kindern werden solle, die die Eltern auf eine Förderschule schicken wollten, wenn denn die Förderschule geschlossen sei?
Wenn man den Satz korrekt auflöst, so sagte Herr Uttecht eigentlich: was sollen die Eltern machen, die ihre Kinder auf eine Förderschule schicken wollen?

Er spricht also von einem Elternwahlrecht, das aus der Konvention aber nicht ableitbar ist. Die Konvention erklärt eindeutig ein individuelles und einklagbares Recht eines behinderten Kindes auf eine Beschulung im Regelschulsystem.
Wenn man es logisch zu Ende denkt, so hat das Kind ein eigenständiges Recht eine ganz normale Schule zu besuchen, selbst wenn die Eltern das Kind auf eine Förderschule schicken wollen.

Die Erläuterung dieses Zusammenhangs ist wichtig, um zu verstehen, warum Herr Uttecht sich mit dem Ende der Förderschule anfreunden sollte. Die Landesregierung ist verpflichtet, unsere Regelschulen bis hinauf zu den Gymnasien auf den inklusiven Unterricht umzustellen, denn die Kinder werden kommen, unsere Grundschulen können davon bereits berichten, ebenso die Frechener Hauptschule. Insgesamt wird es seine Zeit brauchen, bis alle Schulen davon betroffen sein werden, aber es wird nicht aufzuhalten sein. Um aber die Regelschulen auf die Inklusion vorzubereiten, benötigt die Landesregierung fachkundiges Personal. Fachkundig sind Sonderpädagogen. Da aber die wenigsten Sonderpädagogen arbeitslos sind, muss die Landesregierung diese Fachleute aus bestehenden Schulen herauslösen, um sie in den Regelschulen einsetzen zu können. Und deshalb wird die Landesregierung in einem ersten Schritt kleine Förderschulen schließen, denn anders kann sie ihrer Pflicht, die Inklusion im Regelschulssystem umzusetzen, nicht nachkommen.

Und so werden in einem ersten Schritt die kleinen Förderschulen geschlossen werden – vielleicht wird die Landesregierung noch Übergangsfristen verlängert, vielleicht werden Mindestkinderzahlen leicht verändert. Dann wird die eine oder andere Förderschule langsamer sterben. Am Grundsätzlichen aber wird sich nichts ändern. Am langen Ende wird die Mehrzahl der Förderschulen wegfallen.

Insofern ist es unverständlich, warum der Schulausschuss ein weiteres Mal dafür gestimmt hat, das Thema Inklusion auf die lange Bank zu schieben. Anscheinend muss in Frechen die Hütte brennen, bevor man nach vernünftigen Lösungen sucht. Das Thema Inklusion jedenfalls brennt der Frechener Verwaltung nicht auf den Nägeln.




Mittwoch, 10. Oktober 2012
Thema: Inklusion
Bereits im Schulentwicklungsplan des Rhein-Erft-Kreises aus dem Jahr 2010 war ein erster Ausblick auf die kommenden Jahre gewagt worden:
Im Rhein-Erft-Kreis ist die Integration behinderter Kinder (Gemeinsamer Unterricht) in das Regelschulwesen bisher noch kaum realisiert. Die zukünftige Entwicklung kann mit dem Klagerecht der Eltern jedoch eine dramatisch schnelle Wendung nehmen.

Ob dann allerdings die Tragfähigkeit und damit der Erhalt aller bestehenden Förderschulstandorte in kommunaler Trägerschaft zukünftig noch gewährleistet bleibt, wird angesichts der demographischen Entwicklung mehr als fraglich sein.
Diese Vermutung aus dem Jahr 2010 scheint sich nun zu bestätigen, denn das NRW-Bildungsministerium hat eine Verordnung über die Schulgrößen der Förderschulen in der Mache, die dazu führen wird, dass zumindest eine Förderschule in Frechen in den kommenden Jahren auslaufen muss.

Es betrifft die sich in kommunaler Trägerschaft befindliche Anne-Frank-Schule, die mit ihren Förderschwerpunkten Lernen, emotionale und soziale Entwicklung
und Sprache, rund 100 Kinder hat. (lt. Schulstatistik der Stadt Frechen v. 15.10.2011: 94)

Die neue Richtlinie bestimmt für Schulen, die verschiedene Förderschwerpunkte unter einem Dach abdecken, eine Mindestschülerzahl von 144 Kindern. Diese Mindestschülerzahl erreicht die Anne-Frank-Schule sicherlich nicht.
Es ist auch nicht zu erwarten, dass die SchülerInnenzahl sich an der Anne-Frank-Schule stark erhöhen wird, denn derzeit verlassen in den Abgangsklassen mehr Kinder die Schule als in den Eingangsklassen neu aufgenommen werden.

Für diese Schulen bestimmt die Richtlinie in §2 Abs. 3:
Förderschulen, die die Mindestgröße nach § 1 Absatz 1 nicht erreichen, dürfen spätestens zum 1. August 2014 keine Schülerinnen und Schüler mehr aufnehmen. Sie werden ab dann jahrgangsweise abgebaut, soweit der Schulträger nicht beschließt, sie vollständig aufzulösen.
Mit anderen Worten: entweder der Schulträger, also die Stadt Frechen löst die Schule zu einem bestimmten Stichtag einfach auf, oder die Schule wird sukzessive abgewickelt.

Bereits 2010 hat der Rhein-Erft-Kreis diese Entwicklung in seinem Schulentwicklungsplan beschrieben. Bis heute jedoch hat sich der Frechener Schulausschuss keine Sekunde mit diesem Thema beschäftigt.
Wir dürfen gespannt sein, wann und wie Stadtverwaltung und Politik auf dieses Problem reagieren wollen.




Donnerstag, 26. Juli 2012
Thema: Inklusion
Wenn auch derzeit nur in Bayern.
Aber an diesem Beispiel zeigt sich, dass die Folgen der UN-Behindertenrechtskonvention durch Behörden nicht ausgebremst werden können, wenn Eltern das Recht auf die Regelbeschulung ihrer Kinder einklagen.

Die Eltern eines gehörlosen Kindes haben in einem Vergleich durchgesetzt, dass ihre Tochter die normale Grundschule besuchen darf und dass das Land die Kosten für den Gebärdendolmetscher übernehmen muss. Der zuständige Bezirk wollte das Mädchen auf eine Förderschule schicken. Mit der Begründung, dort werde sie besser gefördert. Der vom Gericht beauftragte Gutachter erklärte dagegen klar, das Mädchen sei an der Förderschule unterfordert.

Noch handelt es sich um einen Vergleich und der ist auf ein Schuljahr befristet, aber sollte das im kommenden Jahr erfolgende Anschlussgutachten zu einem positiven Schluss kommen, dann wird die zuständige Behörde (der Bezirk Schwaben) die Kosten übernehmen müssen.

Wer also meinen sollte, Inklusion lasse sich auf dem Behördenweg ausbremsen, der sieht sich hier eines Besseren belehrt. Die Gerichte werden dafür sorgen, dass behinderte Kinder endlich die ihnen zustehenden Rechte erhalten.

Frechen ist in der Pflicht endlich und konsequent einen Inklusionsplan zu beraten und zu verabschieden, der allen FrechenerInnen zeigt, was Inklusion auf kommunaler Ebene bedeutet und wie Inklusion auf kommunaler Ebene umgesetzt werden soll.

Andernfalls wird Frechen durch Gerichtsbeschlüsse auf den Weg gebracht werden. Selber gestalten wäre vielleicht die bessere Alternative.




Mittwoch, 20. Juni 2012
Thema: Inklusion
In der letzten Schulausschusssitzung hat die Grüne Fraktion einen Antrag eingebracht, mit dem die Stadtverwaltung aufgefordert worden ist, die Erfordernisse der Inklusion bei den „laufenden und zukünftigen Planungen im Rahmen der Neugliederung des Frechener Schulsystems für alle Schulen „zu berücksichtigen und entsprechend darzustellen.“

Im Grunde also eine Selbstverständlichkeit, nachdem selbst in Frechen angekommen ist, dass die UN-Behindertenrechtskonvention nicht an den Stadttoren halt machen wird.

Wie notwendig dieser Antrag war, erwies sich noch in der gleichen Sitzung, denn nur kurze Zeit zuvor war der „Schulentwicklungsplans für die Stadt Frechen: Weiterentwicklung des Schulangebots in der Sekundarstufe“ vom Gutachterbüro Komplan präsentiert worden. In diesem Gutachten ist folgender Absatz zu finden:
Aus den aktuellen Orientierungsgrößen von schulisch genutzten Flächen „geht auch hervor, dass (…) Räume für eine inklusive Nutzung nicht eingeschlossen sind.
In den nachfolgenden Betrachtungen des Gutachters über die vorhandenen Räume der Frechener Schulen (Hauptschule, Realschule und Gymnasium) wird dem Aspekt des erhöhten Raumbedarfs im Rahmen der Inklusion jedoch an keiner Stelle Rechnung getragen.

Das Gutachten prüft das an den Schulen vorhandene Raumangebot ohne nach Räumen für die „inklusive Nutzung“ zu fragen. Aber, das ist auch nicht wirklich erforderlich, denn das Raumangebot sowohl der aktuellen Realschule als auch des Gymnasiums stößt auch ohne Inklusion jetzt bereits an seine Grenzen.

Um so erstaunlicher das seltsame Verhalten der Fraktionen und der Verwaltung im Rat auf den Antrag der Grünen: alle Beteiligten versuchten den Antrag wegzureden. Was man denn als Kommune beim Thema Inklusion überhaupt tun solle? Das Land habe noch überhaupt keine Richtlinien erlassen, und was es der Ausflüchte mehr gibt. Am Ende stimmte nur die Vertreterin der Grünen für den Antrag, alle anderen Mitglieder des Schulausschusses enthielten sich der Stimme. Damit wurde der Antrag unter den kuriosesten Bedingungen angenommen, doch das Verhalten von CDU, SPD, FDP, SBF und Perspektive gibt zu denken. Es hat den Anschein, als würde man dem Thema gerne aus dem Weg gehen, als gäbe es keine kommunale Verantwortung in diesem Bereich. Andererseits aber scheint die Angst, als Gegner der Inklusion wahrgenommen zu werden, noch größer.
Da reibt man sich denn doch ein bisschen die Augen. So also „gestalten“ die Frechener Parteien die Zukunft der Kommune, wegducken und klein machen.

Da lohnt es sich, an eine Fachtagung der Freien Wohlfahrtspflege zu erinnern, an die sich die Vorsitzende des Schulausschusses Frau D’Moch-Schweren vielleicht noch erinnern wird. In der Eröffnungsrede zum Thema Inklusion fiel folgender Satz:
„Die Kommunen sind in der Pflicht, schon allein aus ihrer Verantwortung für die Daseinsvorsorge für ihre Bürgerinnen und Bürger.“
In dieser Rede wurden auch vier Aufgaben formuliert, die die Kommunen jetzt bereits angehen können.
„Was ist kommunal zu tun?
Vier mögliche Schritte, die vielleicht auch ohne großen finanziellen Aufwand zu gehen sind, könnten vor Ort am Anfang von Inklusionsaktivitäten stehen:
1. Erhebung des status quo – mit einer Bestandsaufnahme der Lebensbedingungen der Menschen mit Behinderung (und der anderen Gruppierungen) verschafft sich die Kommune einen Überblick - und erfragt, was den Menschen vor Ort wichtig ist, was sie sich wünschen
2. Ableitung von Handlungsnotwendigkeiten
3. Vermeiden eines Nebeneinanders von Sozialraumplanung, Demographieplanung, Pflegeplanung, Teilhabeplanung etc., Es gilt ein Konzept im Gesamtkontext der kommunalen Handlungsfelder zu entwickeln.
4. Erarbeitung von Plänen – mit konkreten Maßnahmen und konkreten Zeitschienen.“
Mit anderen Worten: Inklusion muss gewollt und umgesetzt werden. Aktuell zeigen nur die Grünen, dass sie die Notwendigkeiten verstanden haben. Die übrigen Parteien haben die Zeichen der Zeit wohl noch nicht erkannt. Ob sie es je tun, wer weiß ... Aber immerhin, man hat schon Angst vor dem Eindruck, der entstehen könnte, sollte das jeweilige Desinteresse am Thema Inklusion offenkundig werden.

Das zumindest ist schon mal etwas.




Mittwoch, 6. Juni 2012
Thema: Inklusion
Der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen, Hubert Hüppe hat den "Wegweiser für Eltern zum Gemeinsamen Unterricht" neu aufgelegt.
Ich möchte einfach zur nächstgelegenen Schule gehen und meine Tochter anmelden können – wie alle anderen auch – und wissen, dass dafür gesorgt wird, dass sie die Unterstützung erhält, die sie braucht…
In seinem Vorwort schreibt er:
Drei Jahre nach Inkrafttreten der UN-Konvention für die Rechte behinderter Menschen sollte eigentlich jedem Kind eine inklusiven Grundschule oder eine weiterführende Schule am Wohnort offen stehen. Die Realität sieht anders aus. Statt ihren Rechtsanspruch anzuerkennen, müssen Eltern sich immer noch rechtfertigen, wenn sie Teilhabe und Förderung für ihr Kind beanspruchen.
Als Eltern eines Kindes mit Behinderung werden Sie diese Situation kennen. Diskriminierungserfahrungen gehören leider noch zu unserem Alltag. Die vorliegende Broschüre, die von dem Elternverband Gemeinsam leben gemeinsam lernen e. V. erarbeitet wurde, garantiert nicht, dass Ihnen keine Hindernisse begegnen.
Sie soll Sie aber stärken, indem sie Sie über Ihre Rechte bzw. die Ihres Kindes informiert.
In diesem Sinne hier die Links zu den Broschüren:
Allgemein
Themenheft: NRW




Dienstag, 20. März 2012
Thema: Inklusion
Schon lange nichts mehr zum Thema Inklusion veröffentlich auf www.Bildungsklick.de fand ich folgendes Interview mit Dr. Reinald Eichholz

21.02.2012 - (red) Die Regierungsfraktionen der SPD und der Grünen haben einen Antragsentwurf vorgelegt, der "Eckpunkte für den Weg zur inklusiven Schule in NRW" benennt. Wird damit die Inklusion gemäß der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung realisiert? Das wollte Brigitte Schumann von dem Juristen, ehemaligen Kinderbeauftragten der Landesregierung NRW und Mitglied in der National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland, Dr. Reinald Eichholz wissen.

Herr Eichholz, haben Sie den Eindruck, dass die Parlamentarier verstanden haben, was Inklusion bedeutet und wozu die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen die Bundesländer und damit auch NRW verpflichtet?

Reinald Eichholz: Ich bin Ratgeber weder des Parlaments, noch der Parteien, noch der Landesregierung; aber ich habe natürlich eine persönliche Meinung, die ich gern auch zu Protokoll gebe. Dabei ist vorauszuschicken, dass im Moment noch niemand abschließend sagen kann, wie das "inklusive Bildungssystem" der Zukunft wirklich aussieht. Insofern steht auch meine Meinung unter dem Vorbehalt, morgen schlauer zu sein.
Insgesamt habe ich den Eindruck, dass in der gegenwärtigen Bildungsdiskussion der umfassende Anspruch der Menschenrechtskonventionen noch gar nicht angekommen ist und deswegen auch die völkerrechtlich verbindlichen Rahmenbedingungen für die Weiterentwicklung nicht präsent sind. Man gewöhnt sich aufgrund der Behindertenrechtskonvention an, bei Inklusion nur an die Kinder und Jugendlichen mit Behinderung zu denken. Sobald man sich den menschenrechtlichen Hintergrund klar macht, steht aber fest: Inklusion meint alle. Jedes Kind hat das Recht dazu zu gehören, und zwar unabhängig von jeder Art der Verschiedenheit. Die Konvention verlangt, dass das nicht nur als verbindliche Vorgabe anerkannt wird; dieses Recht soll sich den Kindern im Schulalltag als "sense of belonging", als Gefühl der Zugehörigkeit, mitteilen, nicht zuletzt eine Frage gelebter Demokratie. Die "Kultur des Behaltens" ist dafür eine gute Richtung.

Derzeit erleben wir, dass z.B. Gymnasien und Realschulen als inklusiv bezeichnet werden oder sich selbst so bezeichnen, wenn sie Kinder mit Behinderungen aufnehmen. Würden Sie sagen, dass dies eine unangemessene Verwendung des Begriffs "inklusiv" ist, die den eigentlichen politischen Auftrag verwässert?

Reinald Eichholz: Durchaus. Es geht auch nicht darum, dass einzelne Schulen "inklusiv werden wollen" und andere wie bisher bleiben, sondern die Menschenrechtskonventionen verlangen Inklusion auf Dauer von allen Schulen, auch wo es gar nicht um Menschen mit Behinderung, sondern um Abtrennung und Ausgrenzung auch anderer Art geht. Nötig ist eine grundlegend andere Einstellung zur Verschiedenartigkeit und Vielfalt - mit Auswirkungen, die tatsächlich das ganze System betreffen bis hin zu Bildungsstandards und Fragen des Bewertungs- und Berechtigungswesens. Die dahinter stehenden Normvorstellungen widersprechen dem "Geist der Konvention".
Mit unseren Normierungen konstruieren wir aus Vielfalt Abweichungen und für den Umgang damit stehen uns hierarchische Kategorien und selektive Strukturen zur Verfügung, die aus Differenz Ungleichheit herstellen und sozialen Ausschluss befördern.

Aus solchen Gründen habe ich auch Bedenken gegen die Annahme, Inklusion verwirkliche sich in der bloßen Zusammenführung von Regel- und Sondereinrichtungen. Dass Zusammenarbeit nötig ist, liegt auf der Hand. Ziel muss aber ein Drittes sein: eine "inklusive Pädagogik", die mehr ist als Regelpädagogik plus Behindertenpädagogik, die vielmehr ein Grundkonzept (auch für Ausbildungsstätten und Fortbildung) entwirft für den Umgang mit Heterogenität, wie wir sie heute in allen Schulen jeden Tag vorfinden. Dann wird sich auch der Sprachgebrauch ändern, so dass "Leistungsträger" nicht nur die an unseren "Normalvorstellungen" gemessenen Kinder sind, sondern jedes Kind auf seine Weise, wenn sein Potenzial unterstützt wird.

Kein Bundesland hat bislang den Mut zu einer wirklich umfassenden, menschenrechtlich ausgerichteten Reform. Rot-Grün in NRW will wenigstens den Rechtsanspruch auf inklusive Bildung für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf landesgesetzlich verankern. Das ist keine Selbstverständlichkeit, wenn man sich bundesweit umschaut. Was ist dagegen zu sagen?

Reinald Eichholz: Bisher ist ganz allgemein beim Umgang mit völkerrechtlichen Verträgen noch nicht hinreichend klar, dass wir längst Staatenverpflichtungen haben, die auch die Länder binden. Und auch der Individualanspruch des einzelnen Kindes, "nicht vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen zu werden", ist bereits geltendes Recht. Wenn also z. B. die Eckpunkte einen allgemeinen Rechtsanspruch für Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf beschränken, indem sie mit den Klassen 1 und 5 ab dem Schuljahr 13/14 beginnen, dann ist dieser Schritt allein politischem Pragmatismus beim Umbau des Systems geschuldet. Das Ziel der Konvention ist das nicht. Im Übrigen aber hat das einzelne Kind mit einer Behinderung, das eine allgemeine Schule besuchen will, bereits heute "auf allen Ebenen" einen einklagbaren Anspruch. Ich weiß, dass einzelne Gerichte das bisher anders gesehen haben, pflichte aber dem Schulrechtler Herrmann Avenarius bei: Keineswegs sei gesagt, dass die Gerichte auch künftig "sämtlich so entscheiden wie der VGH Kassel und das OVG Lüneburg. Das letzte Wort wird vermutlich ohnehin das Bundesverwaltungsgericht sprechen". Ich gehe jedoch davon aus, dass das Schulministerium bestrebt ist, konkrete Einzelfälle auch als solche zu behandeln und eine Lösung zu unterstützen. Im Konfliktfall würde ich Eltern aber durchaus ermutigen, den Klageweg zu beschreiten – mit kompetenter anwaltlicher Unterstützung, wenn man bedenkt, dass die Rechtsprechung bisher wiederholt anders entschieden hat. .

Welche Bedenken kommen Ihnen noch, wenn Sie sich die Eckpunkte ansehen?

Reinald Eichholz: Die Folge einer zu engen Sicht auf Inklusion ist, dass sehr leicht Weichenstellungen erfolgen, die Augenblicksnöte zu zementieren drohen. "Vorreiterschulen", "Schwerpunktschulen" oder "Kompetenzzentren neuer Art" mögen in einer Übergangssituation vertretbar sein; gerade im Rahmen der Schulentwicklungsplanung muss aber klargestellt werden, das dies nur vorübergehende Lösungen sein können und das Ziel im Sinne der Konvention nur das "inklusive System" als Ganzes sein kann.

Und wie beurteilen Sie den Verzicht auf Prozesssteuerung auf Landesebene zugunsten eines Elternwahlrechts, von dem abhängt, wie sich die Angebote für Kinder mit Behinderungen in den Kreisen und kreisfreien Städten in NRW entwickeln?

Reinald Eichholz: Das Wahlverhalten der Eltern hat eine verhängnisvolle Sicht der Rechte des Kindes zur Folge. Politisch ist der Blick auf die Eltern verständlich. Vernachlässigt wird aber, dass der Rechtsträger des Inklusionsanspruchs nicht die Eltern sind, sondern das Kind, dessen Stellung im System viel genauer ins Auge gefasst werden müsste und entsprechende Vorgaben der Landesregierung erfordert. Kinderrechtskonvention und Behindertenrechtskonvention fordern übereinstimmend, dies mit Vorrang zu berücksichtigen. Daran sind – einschließlich des Rechts auf Inklusion – auch die Eltern gebunden. Ihr Recht nach Art. 6 Grundgesetz besteht darin, eine Bevormundung durch den Staat zurückweisen zu können. Für das Kind aber sind sie pflichtgebundene Treuhänder. Deshalb wird zu Recht über das AOSF-Verfahren nachgedacht. Es kann das Ziel aber nicht allein die Verlagerung diagnostischer Verfahren in die Schulen sein; erforderlich ist vielmehr die Umwandlung in ein Beratungsverfahren, das nicht nur 'Beteiligung' der Eltern gestattet, sondern deren treuhänderische Entscheidungskompetenz im Interesse des Kindes respektiert. Würde man dies als "Wunsch- und Wahlrecht" der Eltern missverstehen, entsteht die Gefahr, dass einem der gesamte Prozess entgleitet und das Ziel der Konvention verfehlt wird.
Andere kritische Stimmen wie die GEW vermissen konkrete Angaben zu den personellen und sonstigen Rahmenbedingungen. Die Regierungsfraktionen sprechen diesbezüglich lediglich diverse Prüfaufträge an die Landesregierung aus.
Ich sehe ein grundsätzliches Problem darin, dass allgemein nur darüber nachgedacht wird, wie die "Regelschulen" durch "sonderpädagogische Kompetenz" aufgerüstet werden können. Der umfassende Ansatz der Konvention verlangt mehr. Auch wenn die Einschränkung gilt, dass die Konvention nur nach Maßgabe der "verfügbaren Mittel" umzusetzen ist, muss doch wenigstens das Ziel klar benannt und darauf bezogen werden, welche Ressourcen auf Dauer erforderlich sind.

Vor diesem Hintergrund verstehe ich die Einwände der GEW. Es wäre zum Schaden für das System und die Kinder, wenn Inklusion durchgesetzt würde, ohne die strukturell erforderlichen Schritte personell und räumlich abzusichern. Das Teammodell beispielsweise hängt sonst in der Luft. Die bisherigen Finanzierungsmodelle sind unzureichend, defizitorientiert und stigmatisierend. Weitergedacht werden sollten die Modelle, die eine systembezogene Finanzierung ermöglichen

Zur Person:Dr. Brigitte Schumann war 16 Jahre Lehrerin an einem Gymnasium, zehn Jahre Bildungspolitikerin und Mitglied des Landtags von NRW. Der Titel ihrer Dissertation lautete: "Ich schäme mich ja so!" - Die Sonderschule für Lernbehinderte als "Schonraumfalle" (Bad Heilbrunn 2007). Derzeit ist Brigitte Schumann als Bildungsjournalistin tätig.
Aus: http://bildungsklick.de/a/82558/mehr-als-regelschule-plus-behindertenpaedagogik/




Dienstag, 14. Juni 2011
Thema: Inklusion
Seit gut 2 Jahren hat die Bundesrepublik die Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nationen unterschrieben. Seit mehr als einem Jahr regiert in Nordrhein-Westfalen eine rot-grüne Regierung. Das eine hat ursächlich mit dem anderen nicht s zu tun. Vermittelt aber doch, haben doch SPD und Grüne den Eltern behinderter Kinder versprochen, die Inhalte der Behindertenrechtskonvention in „echte“ Politik zu übersetzen. Davon ist bis heute nur wenig zu sehen.

Zwar gibt es kleine Anzeichen, die auf Veränderung hindeuten, aber mehr als kleine Anzeichen sind es nicht. Das Recht behinderter Kinder auf eine wohnortnahe Beschulung in den Regelschulen, ist anscheinend zu unwichtig, als dass man sich hierum ernsthaft kümmern müsste.

Man könnte jetzt natürlich pathetisch werden, denn immerhin handelt es sich bei der Inklusion um ein Menschenrecht aber entscheidend ist vielmehr, dass die rot-grüne Landesregierung in der Schulpolitik einen Kurs steuert, der alles verkörpern mag, nur keinen Gestaltungsanspruch.

Dies beginnt schon damit, dass die rot-grüne Landesregierung versucht hat, durch eine Kommunalisierung schulpolitischer Entscheidungen die großen ideologischen Schlachten um die „richtige“ Schulpolitik durch eine Graswurzelpolitik zu verhindern. So sollte die neue Gemeinschaftsschule aus lokalen Initiativen hervorgehen und die Schullandschaft von unten verändern. Und um dem politischen Gegner keinen Raum für Angriffe zu geben wurde das Ganze als „Schulversuch“ deklariert. Nun ist seit dem Hamburger Referendum bekannt, dass das bildungsbeflissene Bürgertum theoretisch für jede Reform zu haben ist, außer die deutscheste aller deutschen Institutionen, das Gymnasium, wird gefährdet. Gemeinschaftsschulen aber, die in der Endausbaustufe auch einen gymnasialen Zug haben sollen, gefährden in Zeiten rückläufiger Schülerzahlen, vorhandene Gymnasien in Nachbarkommunen. Was macht daher eine von klugen Bürgern regierte Nachbarkommune? Sie zieht vor Gericht und erhält Recht. Die aktuelle Rechtsprechung ist da eindeutig: Die insbesondere von der grünen Schulministerin vertretene Idee, schulpolitische Entscheidungen zu kommunalisieren und via „Schulversuch“ die neue Gemeinschaftsschule dem politischen Streit zu entziehen, ist gescheitert.

Dies ist, bezogen auf die Inklusion, ein Menetekel!

Vor diesem Hintergrund erweist sich die Kommunalisierung schulpolitischer Entscheidungen als ein nicht gangbarer Weg, um notwendige schulpolitische Veränderungen zu erreichen. So muss das Recht auf inklusive Bildung sofort im nordrhein-westfälischen Schulgesetz verankert werden. Es kann auch nicht sein, daß in Sonntagsreden Inklusion für notwendig erklärt wird, sobald es aber konkret zu werden droht, entzieht sich Rot-Grün seiner Verantwortung und gibt den Ball an die Kommunen weiter. Warum beispielsweise ist die Herstellung einer kompletten Barrierefreiheit für Schulbauten nicht im Baurecht verankert?
Wann endlich wird der offene Ganztag zu einer Maßnahme schulischer Bildung erklärt? Nur dann bleibt der Einsatz von individuellen Schulbegleitern einkommensunabhängig und können Fahrdienste entsprechend zeitversetzt stattfinden. Nur dann können auch schwer- oder mehrfachbehinderte Kinder die Angebote des offenen Ganztags nutzen.

Hier vor Ort hat die Politik der grünen Schulministerin bisher nichts bewirkt! Die Stadtverwaltung wartet, auf Empfehlung der kommunalen Spitzenverbände, auf Grundsatzentscheidungen der Landesregierung. Die aber bleiben aus – die grüne Schulministerin wartet ja auf die Graswurzelbewegung. Da kann sie aber in manchen Kommunen, bspw. hier in Frechen, lange warten – eine behindertenpolitische Kompetenz hat die bündnisgrüne Ratsfraktion bisher nicht an den Tag gelegt. Und die SPD, die über den Schulausschuss die Möglichkeit hätte, sich schulpolitisch zu profilieren, die sich als Kümmererpartei versteht, die in allen Sozialverbänden gut verankert ist, will die politischen Möglichkeiten nicht erkennen. Bildung für alle ist ein großer Anspruch – in Frechen gibt es wohl niemanden, der sich hierfür öffentlich einsetzen will.

Sowohl die Idee der Gemeinschaftsschule als auch die Inklusion sind es wert, breit diskutiert zu werden. Wie anders können sonst grundsätzliche Veränderungen vermittelt werden, wenn nicht durch eine öffentliche Debatte? Aber Öffentlichkeit scheint nicht gewünscht zu sein. So wird Anfang Juli einer der profiliertesten Vertreter der Inklusion, Prof. Dr. Hans Wocken in Frechen referieren. Leider nicht öffentlich. Die Veranstaltung ist als geschlossene Veranstaltung für die Mitglieder des Schulausschusses konzipiert. Warum nur? Wovor hat der Schulausschuss Angst?

Nachtrag:

Es wird viel zu oft übersehen, welche Sprengkraft dem Thema Inklusion innewohnt: Matthias Trautsch hat in der FAZ darauf hingewiesen:
„Die Folgen sind tiefgreifend, besonders für die Schulen. Denn die flächendeckende "Inklusion" ist mit dem derzeitigen gegliederten Bildungswesen kaum zu vereinbaren. Wie ist zu rechtfertigen, dass Sonderschüler künftig ein Gymnasium besuchen dürfen und dort individuell gefördert werden, aber Haupt- oder Realschülern der Besuch dieses Gymnasiums verwehrt bleibt?
Die Länder, in denen die Integration behinderter Kinder schon weiter vorangeschritten ist, haben meist ein Gesamtschulsystem. Leistungsunterschiede in einer Klasse sind die Regel - nicht nur zwischen Behinderten und Nichtbehinderten. Damit einher geht eine individuelle Förderung, die nur mit mehr Personal möglich ist. Es gibt Fachkräfte für besondere pädagogische Aufgaben, und den Klassenlehrern steht ein Assistent zur Seite, der sich um einzelne Schüler kümmern kann.“

Mit Hilfe des rotgrünen Vorgehens der Kommunalisierung der NRW-Schulpolitik sind diese Probleme nicht zu lösen. Die Landesregierung, allen voran die grüne Schulministerin, schleicht sich aus der Verantwortung. Dies wird dazu führen, dass die am besten organisierten, die stimmstärksten und einflussreichsten Interessen sich durchsetzen werden: was nichts anderes besagt, als dass das in Bildungsfragen stockkonservative gebildete Bürgertum seine schulpolitischen Vorstellungen in kommunalpolitische Grundsatzentscheidungen übersetzen wird.
Also: soziale Exklusion auf Kosten von Kindern, die noch nicht einmal wissen, was ihnen hier angetan wird.