Thema: Opposition
Auch von Frankreich kann man etwas Neues lernen:

Die Situation fällt nicht ins Auge, da man sich daran gewöhnt hat. Es bedurfte daher der Forschungen an verschiedenen französischen Universitäten, um sich dieser Realität mit neuem Blick zuzuwenden:

Erstmalig wurde die Frage gestellt, wer in erster Linie von den von der Kommune finanzierten sportlichen und kulturellen Infrastrukturen profitiert. Der Geograph Yves Raibaud kam dabei zu der einfachen Schlussfolgerung, dass: „zwei Drittel der Nutznießer der öffentlichen Investitionen in diesem Bereich Jungen sind.“ „Skaterparks oder auch Sportgelände sind Plätze die gedacht sind für neutrale Wesen, aber in Wirklichkeit werden sie fast nur von Jungen genutzt.“
Nicht nur, dass es deutlich mehr Jungen sind, die von den Kommunen finanzierte sportliche Infrastruktur nutzen, nein diese Infrastruktur ist tendenziell sehr viel teurer als die Freizeitinfrastruktur, die Mädchen nutzen. Es ist einfach teurer, ein Fußballplatz anzulegen, als einen Tanzsaal oder einen Raum für einen Chor.

Ein kleiner Blick auf die Frechener Situation bestätigt diesen Befund:
inzwischen wurde ein sicherlich siebenstelliger Betrag aufgewandt, um alle Frechener Sportplätze mit Kunstrasen auszustatten. Untersucht man nun die typischen Nutzer, dann wird man feststellen, dass die Frechener Kunstrasenplätze in vermutlich mehr als 90% aller Fälle von Jungs bevölkert werden. Wann hat die Stadt zuletzt einen siebenstelligen Betrag für mädchenspezifische Hobbys und Sportarten aufgewandt?

In Ramonville, einer Stadt nahe Toulouse wurden in 2009 pro Jungen 23,20 Euro aufgewandt, pro Mädchen nur 12,80 Euro. Eine geschlechterorientierte Analyse des Frechener Haushalts dürfte ähnliche Ungleichheiten zu Tage befördern.

Man muss sich das mal an einem konkreten Beispiel vorstellen: was würde geschehen, wenn man feststellen würde, dass ein Krankenhaus zu 80% von Männern frequentiert wird? Natürlich müsste man sich die Frage stellen, ob Frauen unter diesen Umständen überhaupt ausreichend Zugang zu den notwendigen ärztlichen Dienstleistungen dieses Krankenhauses hat, woran dies liegen könnte und wie man diese Fehlentwicklung abstellen kann. So ähnlich ist es im Bereich der von den Kommunen finanzierten und subventionierten Freizeitinfrastruktur.

Es handelt sich hierbei klar um politische Entscheidungen, die zu einer Institutionalisierung eines männlichen öffentlichen Raums führen. Y.Raibaud führt dies auf den Mythos von einer angenommenen erhöhten männlichen Gewalttätigkeit zurück, die dazu führt, dass Kommunen alles dafür tun, um Jungen und junge Männer im Freien zu beschäftigen.

Typisch hierfür seien die Skaterparks, die von Mädchen in der Mehrzahl nur besucht würden, um als Zuschauerinnen am Spektakel der Jungen teilzuhaben. Hier wird das alte Rollenmodell von der Passivität des weiblichen Geschlechts in dem von der Kommune finanzierten Skaterpark festgeschrieben.

Aber das sind nicht die einzigen Aspekte eines geschlechterspezifischen, also männlich strukturierten öffentlichen Raums. So sind Stadtplaner und die Entscheider in den Gremien vorzugsweise Männer und diese haben auch einen anderen Blick auf die Gestaltung von Innenstädten. Sie schaffen Städte entsprechend ihrer Vorstellungen als autofreie Städte, in denen es Spaß macht, sich zu Fuß oder mit dem Fahrrad zu bewegen und zu flanieren.

Eine Studie hat bspw. gezeigt, dass es schon gravierende Differenzen bei der Nutzung des Fahrrads gibt. 60% der NutzerInnen sind männlich, nur 40% weiblich. Und dies liegt nicht daran, dass Fahrradfahren der Frisur schadet. Vielmehr spiegelt sich darin die unterschiedliche Rollenverteilung bei der Erwerbs- und der Hausarbeit wider. Frauen sind oft Teilzeitbeschäftigte, organisieren daneben die Kindervergnügen, den Einkauf, die schulischen Termine usw..

Die Organisation dieser unterschiedlichen Verpflichtungen lassen sich mit dem Fahrrad oft nicht vernünftig regeln und der öffentliche Nahverkehr stellt auch keine Alternative dar. Eine städtische Infrastruktur, die den in seiner Freizeit flanierenden, kaffeetrinkenden und radfahrenden Mann im Blick hat, geht an den Bedürfnissen der vor Ort das Familienleben organisierenden Hälfte der Menschheit, also den Frauen vorbei.

Spannend, oder?

Man sollte auch in Frechen den Haushalt mal unter geschlechtspezifischen Aspekten analysieren um die Frage zu beantworten, wer denn von den Leistungen einer Kommune den größeren Nutzen zieht, Männer oder Frauen.

Quelle: Charlie Hebdo, Nr. 1186, v. 15.04.2015





clement_a_frechen, Sonntag, 26. April 2015, 10:22
"Auch von Frankreich kann man etwas Neues lernen..." Merci beaucoup!