Thema: Inklusion
Wohl gegen 27 Kinder der Klassenstufe 6 müssen zum Schuljahresende ihr Gymnasium verlassen.
Nicht freiwillig, nein, sie werden abgeschult. Das Gymnasium hat ihnen mitgeteilt, sie würden den Anforderungen dieser Schule nicht entsprechen. Das Niveau der Schule und das Können der Kinder passen nicht zusammen - so die Begründung.

Wir lesen im Schulprogramm des Schule folgende Sätze:
Individuelle Förderung nimmt alle Schüler/innen in den Blick. Sie wendet sich an die Leistungsschwachen, das Leistungsmittelfeld und an die besonders Begabten und das Leistungsmitte
Was wurde unternommen, um diese 27 Kinder am Gymnasium zu halten?

Das Gymnasium spricht von sich selbst als „fordernde und fördernde Schule“. Was hat diese Schule unternommen, um diese 27 Kinder zu fördern?

Es kursieren Gerüchte, dass das Gymnasium etwas unter Raumknappheit leide. Man könnte nun einen Zusammenhang herstellen. 27 Kinder entsprechen der Stärke einer Klasse. Löst das Gymnasium ihre Raumknappheit mittels Abschulung und damit auf Kosten der lokalen Realschule?


Ja da fragt man sich doch, wie dieser Satz im Leitbild des Gymnasium mit dem hier praktizierten Verhalten in Deckung zu bringen sein könnte:
Wir wollen eine Schule, so steht geschrieben,
in der alle Schüler in ihrer Persönlichkeitsentwicklung so gefördert werden, dass sie verantwortungsvoll mit sich selbst, mit ihren Mitmenschen und ihrem Lebensraum umgehen.
Zumindest gehen die Abgeschulten verantwortungsvoll mit der im Gymnasium knappen Ressource Klassenraum um, andererseits stellt sich jedoch die Frage, ob das Gymnasium durch eine massenhafte Abschulung die Persönlichkeitsentwicklung der betroffenen Kinder gefördert hat und ob es das Zeichen eines verantwortungsvollen Umgangs mit den Mitmenschen ist, derart mit Kindern umzugehen.

Vor diesem Hintergrund darf man wohl die Frage stellen, wie das Gymnasium mit den ersten inklusiv zu unterrichtenden Kindern umgehen wird, die zu Beginn des derzeit noch laufenden Schuljahres aufgenommen werden mussten.
Vor Kurzem wurde „offiziell“ auf der Homepage des Gymnasium ein erstes Resumee gezogen:
Inklusion wird ein ständiger Lern- und Entwicklungsprozess bleiben, bei dem wir alle Kinder im Blick behalten möchten. Momentan können wir auf ein erfolgreiches halbes Jahr zurückblicken.
Für inklusiv zu beschulende Kinder jedoch gilt das im Schulprogramm Gesagte doppelt und dreifach:
Individuelle Förderung nimmt alle Schüler/innen in den Blick. Sie wendet sich an die Leistungsschwachen, das Leistungsmittelfeld und an die besonders Begabten
Nachdem nun aber bereits 27 Kinder nich inklusiv zu beschulende Kinder abgeschult wurden, welches Schicksal droht den inklusiv zu beschulenden?

Insbesondere dann, wenn man zur Kenntnis nimmt, dass die Schulkonferenz des Gymnasium am 19. Februar 2014 auf Antrag der Schulleitung folgenden Beschluss fasste:
„Nach einer kritischen Würdigung der Erfahrungen, die in der ersten Inklusionsklasse im Schuljahr 2013/14 bisher gemacht wurden (…)“
Kurze Zwischenfrage: Auf der Homepage des Gymnasium wird auf ein „erfolgreiches halbes Jahr“ zurückgeblickt, in der Schulkonferenz wird nach eben einem halben Jahr „kritisch gewürdigt“ – welche Aussage stimmt denn nun?

Weiter im Zitat:
„(…) und angesichts der absehbar geringer werdenden Ressourcen, die das Land zur sonderpädagogischen Betreuung ab kommendem Schuljahr bereitstellen wird bzw. kann, fordert die Schulkonferenz (…) ab dem kommenden Schuljahr im Bereich Inklusion ausschließlich solche Kinder aufzunehmen, die den sonderpädagogischen Schwerpunkt Lernen haben.“
Soll heißen: die „einfachen“ Kinder nimmt das Gymnasium, sobald die Kinder aber in irgendeiner Form eine Herausforderung bedeuten, dann bitte schön, sollen sich andere Schulen darum kümmern? Sollen sich doch diese Schulen mit knapper werdenden Ressourcen herumschlagen?

Aber nein, so war das sicherlich nicht gemeint – hier liegt ein einziges großes Missverständnis vor.

Aber schauen wir noch in die Begründung, die die Schulleitung der Schulkonferenz vorgelegt hat:
Es hat sich als besonders schwierig erwiesen, unter den Bedingungen des Gymnasiums Schülerinnen und Schüler auf den Hauptschulabschluss vorzubereiten.
Was sagen denn die Empfehlungen der Kultusministerkonferenz (KMK) zum Förderschwerpunkt Lernen?
Bei Schülerinnen und Schülern mit Beeinträchtigungen des Lernens ist die Beziehung zwischen Individuum und Umwelt dauerhaft bzw. zeitweilig so erschwert, dass sie die Ziele und Inhalte der Lehrpläne der allgemeinen Schule nicht oder nur ansatzweise erreichen können. (…) Sonderpädagogischer Förderbedarf ist bei Kindern und Jugendlichen gegeben, die in ihrer Lern- und Leistungsentwicklung so erheblichen Beeinträchtigungen unterliegen, dass sie auch mit zusätzlichen Lernhilfen der allgemeinen Schulen nicht ihren Möglichkeiten entsprechend gefördert werden können.
Klingt eigentlich so, als seien insbesondere Kinder mit diesem Schwerpunkt, wenn man denn einzig in Schulabschlüssen denkt, Kinder, die auf einen Hauptschulabschluss vorbereitet werden müssen.

Aber, das kann das Gymnasium laut der Schulleitung vor dem Hintergrund geringer werdender Ressourcen gar nicht leisten.

Zusammenfassend ergibt sich das Bild , dass das Gymnasium Kinder mit diversen Förderschwerpunkten komplett ablehnt und implizit erklärt, die mit dem Förderschwerpunkt Lernen, die würde das Gymnasium ja nehmen, aber eigentlich könne das Gymnasium mit denen auch nichts anfangen.

Aber, das hätte man wissen können, denn in der Schulausschusssitzung vom 19.06.2013 erklärte die Rektorin des Frechener Gymnasiums:
Wenn ich gewusst hätte, was mit dem Thema Inklusion auf mich zukommt, hätte ich diesen Beruf nicht gewählt.
Müssen also die wenigen inklusiv zu beschulenden Kinder damit rechnen, bei nächster Gelegenheit abgeschult zu werden?

Es steht zu befürchten.





travelfox42, Samstag, 28. Juni 2014, 21:13
Wahrscheinlich hilft es nichts, aber ich versuche es trotzdem:

Das Gymnasium ist nun mal keine Gesamtschule. Wer das Klassenziel nicht erreichen kann, wird abgeschult, Inklusion hin oder her. Im dreigliedrigen Schulsystem gibt es gewisse Anforderungen, die der jeweilige Schultyp stellt, und diese sind zu erbringen. Und es spielt keine Rolle, ob einem das gefällt oder nicht.

Und bevor Sie jetzt gleich wieder die Diskriminierungskeule und die UN-Konvention herausholen: diese besagt ganz klar, dass alle Kinder das Recht auf den Besuch einer Regelschule haben. Sie besagt aber explizit NICHT, dass Kinder die freie Schulwahl zwischen allen Regelschulen haben. Auch die Realschule oder die Hauptschule sind Regelschulen. Eine diese Schulen kann jedes Kind besuchen, es muss nicht das Gymnasium sein. Oder dürfen jetzt auch alle Kinder, die Sie in einer Antwort auf meine Kommentare einmal so abwertend "Normalos" genannt haben, dann auch klagen, und völlig unabhängig von Schulempfehlung und intellektuellem Leistungsvermögen aufs Gymnasium gehen? Das wäre nämlich dann die Konsequenz.

Wie manche Eltern die Inklusion auslegen konnte man auch sehr schön an der unseligen Diskussion um Henri erkennen. Niemand hat ihm den Besuch einer Regelschule verweigert, aber Gymnasium und Realschule können es eben nicht sein, wenn schon von vornherein klar ist, dass er die Leistung nie wird erbringen können. Trotzdem kämpfte seine Mutter um den Besuch des Gymnasiums. Mit welchem Recht?

Wie weit hier über das Ziel hinausgeschossen wird, kann man schön auch in folgendem Artikel lesen: http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jan-fleischhauer-ueber-inklusion-an-schulen-a-975644.html. Vielleicht schauen Sie sich auch mal die Diskussionen dazu vorurteilsfrei an....


antoine favier, Sonntag, 29. Juni 2014, 23:34
a.) Ja der Fleischauer, der hat einen Hau. Er könnte es besser wissen, trotzdem tut er es, er nutzt ein aktuell gerne verwendetes Argumentationsmuster: Verhaltensauffälligkeiten mit Behinderungen gleichzusetzen, um darüber die Inklusion für unmöglich zu erklären. Vehaltensauffällige Kinder sind oft normal entwickelte und normal intelligente Kinder - die haben von jeher nichts auf Förderschulen verloren. Vgl. hierzu bspw: http://www.taz.de/Verhaltensauffaellige-Schueler/!140473/
b.) In NRW erleben wir gerade das Ende des dreigliedrigen Schulsystems. Die Hauptschulen sind bald weg. Es läuft derzeit auf ein Zwei-Säulen-Modell hinaus: Sekundarschule / Gesamtschule und Gymnasium werden mittelfristig überleben.
c.) Der Grundtenor des Artikel bezog sich auf 27 abgeschulte Kinder, so rund ein Sechstel der SchülerInnenschaft des 6. Jahrgangs. Vom Brauweiler Abteigymnasium wird berichtet, dass die dortige LehrerInnenschaft angehalten wird, alle Kinder am Gymnasium zu halten und zu fördern. Selbst solche mit einer Realschulempfehlung. Da scheint ein anderes Menschenbild vorherrschend.
d.) Ich persönlich rechne damit, dass auch das Gymnasium seine besten Tage gesehen hat. Die Inklusion macht so oder so auch vor den Toren dieser Schulform nicht halt. Und nachdem nun die verbindende Schulempfehlung keine Gültigkeit mehr hat, so dürfen alle Kinder auf alle Schulen, unabhängig von der Empfehlung.


travelfox42, Dienstag, 1. Juli 2014, 00:01
Am schlimmsten von allen Bildungsverbrechen der rot-grünen Landesregierung finde ich die Unverbindlichkeit der Schulempfehlung. Aber so hat halt jeder seine Ansichten. :-)

Übrigens konnten es mir die Grünen an ihrem Wahlwerbestand auch nicht erklären, warum Frau Löhrmann die Hälfte der Vertretungsstellen gestrichen hat. Sicher gibt es jetzt auch keine Erklärung dafür, warum ich heute in der Zeitung lesen musste, dass die Anzahl der Lehrerstellen verringert werden soll. Anscheinend wissen selbst die Grünen nicht, was sie da tun... Aber das ist ein anderes Thema.

...

Jetzt hab ich auch den taz-Artikel gelesen. Es ist in der Tat schwierig, wie man mit verhaltensauffälligen Kindern umgeht. Ich bin ja immer noch der Meinung, dass sie allein durch den besseren Personalschlüssel auf einer Förderschule besser lernen könnten. Auf eine Regelschule stören sie massiv den Unterricht bis hin zur Undurchführbarkeit. Und wenn man sie ständig nach Hause schickt, hilft das den Kindern auch nicht weiter. Auf einer Förderschule käme es vielleicht gar nicht so weit? Nur ständige Therapie scheint ja zu helfen, wenn auch sehr langsam. Aber auch auf Dauer?


antoine favier, Dienstag, 1. Juli 2014, 10:29
Zur Frage der NRW-Personals an den Schulen:
Schwarz-Gelb hat (zusammen mit den anderen ...) einen Verfassungsartikel in die NRW-Verfassung einfügen lassen, der da besagt: Ab 2020 keine Neuverschuldung.
Also muss jede Landesregierung, egal welcher Couleur von den Kosten runter. Der höchste Kostenposten im NRW-Haushalt: Personalkosten.
Wenn also gespart werden muss, dann trifft es immer auch das Personal.
Das ist also keine Löhrmannsche Geschichte sondern eine des Landeskabinetts und der Verpflichtung, bis 2020 schuldenfreie Haushalte aufzustellen.
Man könnte bei der Polizei sparen, oder beim Straßenbau oder, oder, oder .... dann schreien andere Zeter und Mordio.

Eine kleine Geschichte:
wenn ich 100 Taschendiebe in einem Knast zusammensperre, wie hoch ist die Chance auf Resozialisation und wie hoch die Chance, dass die Taschendiebe ihre Fertigkeiten verbessern?

Wie hoch sind die Chancen für verhaltensauffällige Kinder, wenn ihr schulisches Umfeld nur aus verhaltensauffälligen Kindern besteht?


travelfox42, Dienstag, 1. Juli 2014, 16:47
Zum Personal: Das Argument ist vorgeschoben: es ist immer toll, sich hinter anderen zu verstecken und zu sagen, die schwarz-gelben sind schuld, wir können nix dafür. Bitte?? Wer jetzt an der Regierung ist, kann gestalten, entwickeln und ändern, aber einfach nur lamentieren geht nicht. Das geht allenfalls in der Opposition. Wenn man also für Bildung ist, dann muss man dafür Geld ausgeben. Ansonsten macht man sich total unglaubwürdig.

Zum Vergleich: :-) Nicht alles, was hinkt, ist ein Vergleich. Wenn ich die Taschendiebe nicht einsperre, werden sie weiter klauen und die anderen werden drunter leiden. Resozialisation findet so auch nicht statt. Wenn ich im Knast aber Resozialisationsmaßnahmen ergreife, dann könnte es mit dem Einsperren klappen.

Wenn ich also verhaltensauffällige Kinder ohne ausreichende Unterstützung in Regelschulen integrieren will, dann leiden alle anderen drunter und die Verhaltensauffälligkeit bessert sich nicht. Wenn ich an Förderschulen mehr Personal habe, dann könnte es hingegen klappen.

Aber was rede ich, wir beide leben in zwei komplett unterschiedlichen Welten...


antoine favier, Dienstag, 1. Juli 2014, 17:53
a. Zusammen mit anderen heißt: auch die anderen waren für die in der Verfassung fixierte Schuldenbremse, also kein Freisprechen von der Verantwortung.
b. ein Landeshaushalt beinhaltet eine Menge Ausgaben, die Pflichtausgaben sind. Insofern ist die "Verfügungsmasse" für Einsparungen recht überschaubar. Oft genug wird deshalb im investiven Bereich gespart, weswegen dann Straßen und Brücken in einem verheerenden Zustand sind.
Will man aber strukturell sparen, dann geht das in einem Landeshaushalt oft genug nur im Bereich Personal: also: geringere Gehaltserhöhungen als anderswo, oder halt ganz profan: Personalabbau.
Solange nicht exorbitante Steuermehreinnahmen solche Maßnahmen überflüssig machen, besteht ein sehr enger Zusammenhang zwischen diesem neuen Verfassungsauftrag und fehlenden Lehrkräften, Polizisten und anderen Landesbediensteten.

Man kann sich jetzt fragen, ob man nicht anderswo Personal einsparen kann .... aber da bin ich nicht Fachmann genug, um das wirklich beurteilen zu können. Und Beamte und Landesangestellte wird man ja auch nicht so schnell los. Wie an vielen anderen Stellen hat es daher, so meine Vermutung, zu erst die MitarbeiterInnen ihren Job gekostet, die nur Zeitverträge hatten. Die wird man nämlich schnell los. In vielen anderen Bereichen funktioniert das nur über die Nichtbesetzung freiwerdender Stellen, also im Zuge der Verrentung / Pensionierung.

Mir persönlich wäre es anders sicherlich lieber, ich habe nur den Eindruck, der politische Gestaltungspielraum wird leicht überschätzt. Dafür spricht auch, dass stark verschuldete Bundesländer, egal wie sie regiert werden, alle gleichartig agieren: Schuldenabbau wird mit Personalabbau beantwortet.

Und zum letzten Punkt: es war eine Geschichte, die darauf aufmerksam machen soll, dass es Untersuchungen gibt, die belegen, dass das gemeinsame Unterrichten verhaltensauffälliger Kinder (an Förderschulen) in den wenigsten Fälle zu einem Abbau der Verhaltensauffälligkeiten führt, eher das Gegenteil ist beobachtbar.

Woraus nicht der Rückschluss gezogen werden sollte, dass verhaltensauffällige Kinder "ohne ausreichende Unterstützung in Regelschulen" integriert werden sollten. Aber das hat hier auch niemand behauptet.

Es gibt pädagogische Ansätze, wie das mit Erfolg funktionieren kann - aber das kostet Geld und Zeit und bedarf entsprechender Strukturen.

So komplett unterschiedlich sind unsere Welten denn doch nicht.

Ach ja, das ist mir noch aufgefallen:
Am schlimmsten von allen Bildungsverbrechen der rot-grünen Landesregierung finde ich die Unverbindlichkeit der Schulempfehlung. Aber so hat halt jeder seine Ansichten. :-)
Auch hier gilt: das ist kein rot-grünes "Verbrechen" alleine. In anderen Bundesländern haben das andere Koalitionen vorgemacht, darunter auch solche mit schwarzer oder gelber Beteiligung. Die Verbindlichkeit der Schulempfehlung wurde zudem von sehr vielen Eltern gefordert mit dem Argument des "elterlichen Erziehungsauftrags" = "Elternwillens", denn Eltern wissen besser was für ihre Kinder gut ist.
Man mag dazu stehen wie man will: es wurde als staatliche Bevormundung aufgefasst und das ist nicht mehr zeitgemäß.