Montag, 14. Oktober 2013
Thema: Inklusion
Das Thema der Inklusion wird uns die kommenden Jahre in Frechen massiv beschäftigen. Derzeit lassen sich an Frechens Schulen zwei unterschiedliche Herangehensweisen an das Thema beobachten. Bevor die beiden Wege näher beschrieben werden, leite ich mit etwas theorielastigen Überlegungen ein, die m.E. notwendig sind, um die beiden Herangehensweisen einordnen zu können.

Inklusion, wie sie in der UN-Behindertenrechtskonvention definiert ist, besagt, dass alle Kinder, unabhängig von ihren Problemen an der Regelschule zu unterrichten sind. Die Vorsitzende des Kölner Elternvereins mittendrin e.V. bringt die schulische Verantwortung dabei auf einen einfach zu verstehenden Nenner:
Die inklusive Schule heißt jedes Kind willkommen. Die Kultur des Willkommens ist die Grundvoraussetzung für das Gelingen der Inklusion.“
Man muss sich aber keinen Illusionen hingeben: eine Kultur des Willkommens ist im heutigen Schulsystem (noch) nicht verankert und die Kultur des Willkommens muss im weiteren Verlauf ergänzt werden mit einer Kultur des sich Kümmerns. Das kennt unser Schulsystem noch viel weniger, denn an unseren weiterführenden Schule endet das sich Kümmern an der Schwelle zum siebten Schuljahr: dann wird ausgesiebt und abgeschult. Vom Gymnasium auf die Realschule, von der Realschule auf die Hauptschule, und von allen Schulen bei Bedarf auf die Förderschule.

Jürgen Oelkers, emeritierter Professor für Pädagogik an der Universität Zürich beschreibt die von den Schulen zu erbringende Leistung in folgenden Worten:
Es geht vorrangig darum, die Schulen zu Orten der Inklusion auszubauen und die Abweichungen [der Kinder] wie Normalfälle zu behandeln, ohne dass ihre Besonderheiten zu versteckten Diskriminierungen führen.“
Umgesetzt jedoch ist davon noch recht wenig.

Um die Nichtumsetzung der Inklusion zu verstehen, muss man einen knappen Blick auf die lange Geschichte der Exklusion werfen. Die Adressaten der Bildung in Deutschland waren nie einheitlich
es waren nie einfach „alle“ Kinder, sondern immer die „normalen“ und die „behinderten“, die schon kategorial keine Einheit bildeten, was in praktischer Hinsicht zu getrennten Lernräumen führte, die von zwei verschiedenen Pädagogiken betreut werden und wurden. … Die Sonderpädagogik hat sich lange Zeit einer Sonderbehandlung ihrer Klientel verschrieben und in der allgemeinen Pädagogik kamen behinderte Kinder und Jugendliche nicht vor.“
Inklusion ist also ein Paradigmenwechsel weg von der Auslagerung und hin zur Inklusion aller Kinder. Dieser Paradigmenwechsel fällt den Schulen auch deswegen schwer, da sie selber Behinderungen definieren: sie definieren, wann ein Kind lernbehindert ist, wann es „verhaltensauffällig“ ist*, diese Kinder aber werden nicht inkludiert sondern von den Schulen gerade ausgeschlossen. Im Gegensatz zu vielen anderen Behinderungsformen ist in diesen Fällen Definitionsmacht deckungsgleich mit der Macht, über die Zugehörigkeit zu einer Schule zu entscheiden.

Vor diesem Hintergrund ist die Aussage der Rektorin des Frechener Gymnasiums in der Schulausschusssitzung vom 19.06.2013 einzuordnen, als sie über die vom Regierungspräsidium mit „sanftem Druck“ erzwungene Zuweisung von Kindern mit Förderbedarf berichtete:
Wenn ich gewusst hätte, was mit dem Thema Inklusion auf mich zukommt, hätte ich diesen Beruf nicht gewählt.
Uns begegnet hier eine Rektorin, die in der alten Spartenpädagogik aufgewachsen ist und die die Trennung der Kinder in „normal“ und „behindert“ verinnerlicht hat. Ein Gymnasium ist eine Schule für „normale“ Kinder, dafür wurden und werden auch heute noch alle LehrerInnen ausgebildet, das wollen sie mehrheitlich auch ihren gesamten beruflichen Lebtag machen. Inklusion ist in deren Vorstellungswelt wohl immer ein Thema für die anderen Schulen, nicht aber für ein Gymnasium. Dementsprechend war das Frechener Gymnasium nach Aussagen der Rektorin auch nicht auf diese Situation vorbereitet. Die Inklusionsanforderung kam subjektiv überraschend. Auf allen Ebenen.
In der Schulausschusssitzung versicherte die Rektorin daher auch
mehrfach, dass diese Kinder doch an dieser Schule nichts verloren hätten. Es handle sich um Kinder, die bestenfalls einen Hauptschulabschluss anstreben würden.
Stigmatisierung ist wohl der Fachbegriff, der sich hier anbietet, eine „Kultur des Willkommens“ sieht anders aus.

Ein Seitenblick auf die Frechener Realschule bietet sich hier an. In einer aktuell verbreiteten Broschüre berichtet die Schule über ihren Umgang mit Inklusion:
Um den Bildungsprozess für alle Kinder optimal zu gestalten, hat sich die Realschule Frechen intensiv vorbereitet. (…) Auf Antrag der Schule hat die Bezirksregierung für die Integrationsklasse zusätzliche Stellenanteile zur Verfügung gestellt. Darum ist es möglich, dass die Klasse durchgängig mit zwei Lehrkräften besetzt ist.
Für die Integrationsklasse wurde außerdem ein Differenzierungsraum von der Stadt hergerichtet und ausgestattet – unter anderem mit einem Laptopwagen, mit dem die individuelle Förderung unterstützt werden kann.
Unter intensiver Vorbereitung versteht der Rektor der Realschule auch, dass LehrerInnen sich in den vergangenen Jahren fachlich vorgebildet und qualifiziert haben. Inklusion kam - zumindest für die Realschule - nicht überraschend. Weswegen die Realschule auch kurzfristig einen Antrag auf Einrichtung einer GU-Klasse stellte. Die Einrichtung einer GU-Klasse aber war bisher Voraussetzung für die zusätzlichen Stellenanteile, mit denen die Realschule nun die Integrationsklasse durchgehend mit zwei Lehrkräften besetzen kann.

Auch der zweite Teil der Darstellung ist interessant, denn hier wird ausdrücklich die Leistung der Stadt Frechen bei der Einrichtung eines Differenzierungsraums gewürdigt. Hierbei lohnt ein zweiter Rückblick auf besagte, geradezu legendär zu nennende Schulausschusssitzung vom 19.06.2013. In dieser Sitzung wurde nämlich ein Antrag des Vertreters der Schulpflegschaften der Grundschulen, Herr Tietz abgelehnt, in dem dieser gefordert hatte, zu beschließen, dass die Stadt im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alles tun solle, um diese Schulen bei der Inklusion zu unterstützen.
Spannend waren die Argumente, mit denen die Ablehnung begründet wurde: Der Antrag fordere Personalmittel, so wurde behauptet, und damit etwas, was Landesaufgabe sei. Das tat der Antrag natürlich nicht. Er forderte von der Stadt, dass sie ihren ureigenen Auftrag erfüllen müsse: die sachliche Ausstattung der Schule gewährleisten. Was in Bezug auf die Realschule bedeutete, einen Differenzierungsraum zur Verfügung zu stellen und auszustatten. Es ist zu vermuten, dass das Gymnasium auch hier wenig auf die Beine gestellt hat, denn: Inklusion hat an einem Gymnasium ja nichts verloren. (Nachzulesen hier)

Man kann in diesem Zusammenhang nur nochmals darauf verweisen, dass seit 2010 Bürgeranträge und Anträge einzelner Fraktionen vorlagen, in denen die Stadt aufgefordert wurde, aufzuzeigen, was in den Schulen getan werden müsse, um zukünftig eine inklusive Beschulung zu gewährleisten. Die Anträge wurden auf Nimmerwiedersehen vertagt.

Nun aber ist das Überraschungsmoment weg. Nun muss das Frechener Gymnasium beweisen, dass die fehlende Willkommenskultur überwunden werden kann und ein Kulturwandel eingeleitet wird. Der schulische Umgang mit den drei inklusiv zu beschulenden Kindern am Gymnasium wird die Ernsthaftigkeit des Bemühens des Gymnasiums um Inklusion belegen, oder auch nicht. Die Schule kann Mittel und Wege finden, den Kinder und ihren Eltern das Leben so schwer zu machen, dass diese „freiwillig“ die Segel streichen – oder sie tut alles in ihrer Macht stehende, um diese Kinder in der Schule und im Klassenverband zu halten.

Wir dürfen gespannt sein.
Wie formuliert es Raul Krauthausen, Mitbegründer von Sozialhelden e.V., einem Verein für Inklusion im Alltag:
Ich finde manchmal Diskussionen sehr schwierig, in denen es jetzt schon um Ausnahmen der Inklusion geht, bevor wir sie umgesetzt haben. Dabei stören mich besonders Sätze wie: „Nicht jedes Kind kann an einer Regelschule sein, weil es so stark behindert ist.“ Hier werden theoretische „Extremfälle“ erzeugt, der entscheidenden Frage eines gleichen Zugangs für alle wird ausgewichen.“

* Jürgen Oelkers, Ganztagsschule und Inklusion: Neue Aufgaben der Lehrerbildung, in: Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte, 10.2013, S.40-44.