Montag, 23. September 2013
Wir schauen nur mal auf die beiden hiesigen Wahlbezirke 12 und 13. Die hier verwendeten Zahlen beinhalten die anteilige Einrechnung der Briefwahlunterlagen. Die hiesigen Briefwähler wurden zusammen mit Grefrath und Habbelrath zu einem eigenen Wahlbüro zusammengezogen. Die anteilige Einrechnung der BriefwählerInnen auf die beiden Wahlbezirke führt zu gewissen Unschärfen, verändert aber den grundsätzlichen Trend sicherlich nicht.

Grube Carl ist zusammen mit den Wohnbezirken zwischen der Rosmarstraße und der Dürener Straße in 2 Wahlbezirke eingeteilt. Das Plateau selber und die Rosmarstraße bilden den Wahlbezirk 13, die Bereiche nördlich der Straße Zum Bellerhammer bilden den 12. Wahlbezirk.

Bei der nachfolgenden Betrachtung muss man sich in Erinnerung rufen, dass die SPD 2009 ihr seit Jahrzehnten schlechtestes Ergebnis eingefahren hatte, und alle Wahlprognostiker zumindest mit einem ansteigenden Trend bei dieser Wahl rechneten.

Tortzdem war die SPD in beiden Wahlbezirken 2009 sowohl bei den Erst- als auch bei den Zweitstimmen vor der CDU gelandet.

Die Bundestagswahl 2013 hat dieses Kräfteverhältnis jedoch massiv verändert. Die CDU legte bei den Zweitstimmen im Wahlbezirk 12 um 7%, im 13er um 8% zu. Das liegt im Rahmen der gesamtstädtischen Zuwächse für die CDU von 8,5%.
Die SPD dagegen hat im gesamten Stadtgebiet um 3,2% zugelegt, im WB 12 dabei sogar um 4,8%, was wohl der städtische Spitzenwert sein dürfte, im WB 13 lag der Zugewinn bei gerade mal 1,8%.

Bei den Erststimmen rückte die CDU im WB 12 sehr dicht an die SPD heran: mit rund 10 Stimmen Vorsprung fiel dieser Wahlbezirk aber gerade noch einmal an den Kandidaten der SPD. Ganz anders im WB 13. Lag die SPD 2009 noch 9 Punkte vor der CDU (42% zu 33%), so erlebte der Direktkandidat der SPD hier ein kleines Waterloo. Der CDU-Kandidat legte bei der Erststimme um 12% auf über 45% zu, wahrenddessen der SPD-Kandidat gegenüber 2009 sogar 2% abgegeben hat und nur noch 40% erreichte. Im gesamten Stadtgebiet hat der SPD-Direktkandidat gegenüber 2009 „nur“ 1% abgegeben.
Weiter: 2009 lagen im Stadtgebiet 9 Prozentpunkte zwischen den Erst- und Zweitstimmen der SPD (36 % zu 27 %) in den beiden hier diskutierten Wahlbezirken lag die Differenz bei je 10%. 2013 lauten die aktuellen Werte: 5% zwischen Erst- und Zweitstimme im Stadtgebiet, 8,5% im WB12 und 7,5% im WB13.
Die Werte zeigen, dass die SPD mit diesem Kandidaten ausserhalb ihres eigenen „Biotops“ keinen Blumentopf gewinnen konnte.

Wir haben an anderer Stelle bereits über den unzureichenden Stimmentransfer der Grün-WählerInnen berichtet, soll heißen dass Grün-WählerInnen ihre Erststimme nur unzureichend auf einen SPD-Kandidaten übertragen. Die Quote hat sich in beiden Wahlbezirken um 2% verbessert (WB12: 25%; WB13: 30%), wobei die Grünen in beiden Wahlbezirken gegen 2% verloren haben. (In der Stadt insgesamt: 2,5%). Eine etwas verbesserte Transferrate bei sinkender Anzahl an WählerInnen hat dem SPD-Kandidaten nicht wirklich geholfen. Auch die GrünenwählerInnen also konnte der Direktkandidat der SPD nicht erreichen.

Der hier gewählte sehr kleinteilige Blickwinkel zeigt, dass auf der Ebene der Zweitstimmen der Merkel-Effekt voll durchgeschlagen hat, weder die Wahlbezirke noch die Stadt Frechen insgesamt weichen hier massiv vom Bundestrend ab. Erstaunlicher ist vielmehr, dass es der örtlichen SPD 2009 noch gelungen war, mit der damaligen Direktkandidatin Gaby Frechen in der Stadt und den Wahlbezirken ein Erststimmenergebnis einzufahren, das sehr deutlich über dem Zweitstimmenergebnis lag.
2013 dagegen hat sich die Bundes-SPD etwas gefangen, immerhin ist sie wieder über die 30%-Linie gekommen, aber das Erststimmenergebnis hat sich demgegenüber massiv verschlechtert. Der Kandidat 2013 ist schlechter als die Partei. Das sollte der SPD in Stadt und Kreis zu denken geben.
Nun ist es eine gern praktizierte Form der Schuldzuweisung, festzustellen, dass es dem Kandidaten nicht gelungen sei, sich dem allgemeinen Trend zu widersetzen, was ja vor dem Hintergrund des Merkeleffekts im ersten Moment auch ganz logisch klingt. Aber genau diese einfache Begründung greift hier vor Ort nicht. Zwar hat der Merkeleffekt alles überstrahlt, aber das Abschneiden des Direktkandidaten (im Übrigen: auch der Landratskandidat hat kaum besser abgeschnitten), hat etwas mit dem lokalen Auftreten der SPD zu tun. Es spricht einiges dafür, dass die WählerInnen der Bundes-SPD wohler gesonnen waren als der SPD vor Ort.

Ob die Frechener Genossen, ob die Genossen im Kreis wohl Lehren daraus ziehen?




Montag, 16. September 2013
Wenn man die offiziellen Stimmen hört, dann eher nicht, denn: „die Uhren in Bayern ticken anders.“ Tick-tack, Tick-tack.
Neugierig, aber ohne Anspruch auf statistische Relevanz, genügt aber ein Blick auf die Ergebnisse der städtischen Wahlkreise Augsburg, Nürnberg und München, um doch ins Grübeln zu geraten:
Wir reden hier von 14 Wahlkreisen, wovon 13 Wahlkreise einen CSU-Kandidaten direkt in den Landtag gewählt haben. Eine Additiion der Erststimmen von SPD und Grünen ergibt aber, dass insgesamt 9 Wahlkreise direkt von der Opposition hätten gewonnen werden können, wenn die Erststimmen der GrünwählerInnen auf den SPD-Kandidaten übertragen worden wären.
Sind sie aber nicht. In diesen 14 betrachteten Wahlkreisen haben Grün-Wähler mit der Erst- und der Zweitstimme grün gewählt.

Da gibt es nun verschiedene Erklärungsansätze.
Es kann sein, dass es bei den bayerischen Grünen nicht das Gefühl gab, dass eine Erststimme für den SPD-Kandidaten viel bringen wird. Tenor: „Der wird den Wahlkreis eh nicht gewinnen.“
Ein weiterer Erklärungsansatz lautet, dass die SPD in ihrer derzeitigen Verfassung keine programmatische Anziehungskraft für GrünwählerInnen entwickelt. Grüne Kernanliegen sind weder mit einer CDU noch einer SPD einfach umzusetzen. Energiewende? Klar, wollen beide, aber den Energiemonopolisten weh tun, hier im rheinischen Revier bspw. die Braunkohleverstromung in Frage stellen, das will keine der beiden großen Parteien.
Oder das Thema Mobilität: da treffen sich die beiden Großen ohne Probleme. Hier vor Ort planen sie schon den vierten Kölner Ring von Niehl über Pulheim, Frechen und Hürth, fordern den vierspurigen Ausbau der Bonner Straße usw. Die Liste von geplanten oder erhofften Straßenbauprojekten in der Region ist Legion.
Andererseits fehlen Bund, Land, Kreis und Kommunen jetzt bereits die Haushaltsmittel, um das existierende Straßennetz in Schuss zu halten. In sich ist das also unschlüssig, aber, da Neubau / Ausbau besser klingt als "reparieren" und die großen Parteien sich beide als „Infrastrukturparteien“ verstehen, deren Fokus bei den Autofahrern liegt, ist Straßenneubau ein Punkt in dem sich die beiden leicht treffen.
Wer aber vor dem Hintergrund der mit dem Verkehr verbundenen Belastungen (Landschaftsverbrauch, Lärm, Kosten) fordert, den ÖPNV auszubauen, in „Fahrrad“ zu investieren, der wird immer noch milde belächelt.
Die Liste der Punkte, bei denen es aus Sicht eines Grün-Wählers /einer Grün-Wählerin, ziemlich egal ist, wer die Wahl gewinnt, wer das Dirketmandat erhält, ist also lange.
Klar, es gibt andere Politikfelder, wo sie SPD und Grüne deutlich näher sind, aber diese Punkte spielen in diesem Wahlkampf keine überragende Rolle, wie überhaupt grüne Kernanliegen es kaum auf die große Bühne geschafft haben.

Lange Jahre ging man in der SPD trotzdem davon aus, dass Grün-WählerInnen aus prinzipieller Nähe zur SPD ihre Erststimme auf den SPD-Kandidaten übertragen würden. Das hat auch so funktioniert. Bei einer genaueren Analyse der vergangenen Bundes- und Landtagswahlen in Frechen stellt man aber fest, dass der Stimmenübertrag immer schlechter klappt.
Bei der Bundestagswahl 2005 gaben 55% derjenigen, die den Grünen die Zweitstimme gaben, ihre Erststimme einer anderen Kandidatin, vermutlich der SPD-Kandidatin. Bei der Bundestagswahl 2009 lag die Transferrate noch bei 29%, bei der Landtagswahl 2010 bei 22% und bei der Landtagswahl 2012 bei gerade mal 16%. Tendenz: stark fallend.

Das hat bei der Landtagswahl 2012, als die SPD die Direktmandate im Kreis alle gewann, keine entscheidende Rolle gespielt, da die CDU mit einem massiven Mobilisierungsproblem zu kämpfen hatte. Bei einer „normalen“ Mobilisierung aber wäre der Wahlkreis nicht an die SPD-Kandidatin gefallen, sondern bei der CDU geblieben. Denn, das sei hier nur am Rande erwähnt: der Stimmentransfer hin zum CDU-Kandidaten innerhalb des bürgerlichen Lagers funktioniert bei Bundes- und Landtagswahlen bisher immer noch anstandslos.

Wenn also die SPD das Direktmandat im Wahlkreis Rhein-Erft 1 haben will, so kann sie sich heutzutage nicht mehr damit begnügen, die eigene Wählerschaft zu mobilisieren, denn die eigene Wählerschaft reicht nur unter extremen Bedingungen aus, ein Direktmandat zu erobern.

Stellt sich die Frage, ob die SPD den grünen WählerInnen im Wahlkreis in den vergangenen Jahren politisch in zentralen Fragen entgegen gekommen ist, um einen Stimmentransfer hin zum SPD-Kandidaten zu ermöglichen. Und ergänzend: glauben Grün-WählerInnen, dass die SPD den Wahlkreis erobern wird?

Diese Fragen mag jedEr für sich selber beantworten. Je nach Antwort kann man bereits heute ziemlich sicher prognostzieren, wer hier vor Ort das Direktmandat erhalten wird.

Man muss also nicht unbedingt gleich Lehren aus den bayerischen Wahlen ziehen, aber man kann am bayerischen Beispiel Fragen formulieren und die bayerischen Antworten auf ihre Übertragbarkeit überprüfen. Und siehe da, so anders ticken die Uhren in Bayern nicht.

Und sozusagen als von niemandem gerne gelesenes Postscriptum: auch die Transferrate der Linken-WählerInnen zur SPD ist unterirdisch. Wer jedoch, wie die SPD, diesen Wahlkreis direkt erobern will, muss sich fragen, wie er an dieses Stimmenpotential herankommt.




Dienstag, 10. September 2013
Ich war nicht dabei, aber beim Nachlesen der Kritiken der gestrigen Sendung ARD-Wahlarena: die Kanzlerin stellt sich den Fragen von 150 BürgerInnen, bin ich aber auf folgendes Zitat gestoßen:
Ein Mann aus Worpswede meldet sich: Er lebe seit zehn Jahren mit seinem Partner zusammen, die beiden würden gerne ein Kind adoptieren und dürften es nicht. Was die Kanzlerin da zu tun gedenke?
Merkel senkt die Stimme. "Ich sage Ihnen ganz ehrlich, das ich mich schwer tue mit vollständiger Gleichstellung." Es gehe ihr um das Kindeswohl. Sie werde keinen entsprechenden Gesetzesentwurf einbringen, es könne sich da aber eine rechtliche Situation ergeben, in der es Handlungsbedarf gebe.
(…)
Der Mann aus Worpswede klingt jetzt wütend: "Ja, aber sagen Sie mir, aus welchen Gründen?" Merkel nennt ihm keine, sie sagt: "Ich tue mich schwer damit. Ich weiß, dass ich Ihre Wünsche nicht erfülle."
Mit anderen Worten: Frau Merkel unterstellt, dass homosexuelle Paare eine Gefährdung des Kindeswohls darstellen. Schön, dass es in dieser Klarheit ausgesprochen wurde.




Dienstag, 3. September 2013
Wenn die Reaktionen der französischen Presse einen auch nur näherungsweisen Einblick in den deutschen Wahlkampf gibt, so ist in den letzten Wochen nichts aber auch wirklich nichts passiert, was auf einen lebhaften Wahlkampf hindeuten könnte.
Damit wird der Kanzlerin in die Karten gespielt, die mit einem extrem personalisierten Wahlkampf: „Sie kennen mich und wissen, was sie an mir haben“ bei gleichzeitiger totaler thematischer Entkernung eine extrem passive Wahlkampfstrategie fährt. Konrad Adenauer plakatierte noch „Keine Experimente“ und sprach damit die Sicherheitsinstinkte der Deutschen direkt an. Im Grunde macht die Kanzelrin es nicht anders, sie präsentiert sich als „alternativlos“, als diejenige, die das Staatsschiff BRD sicher durch alle Krisen geführt hat, als diejenige, die nachdenkt, analysiert und dann erst entscheidet, als der ruhende Pol in einer immer aufgeregteren Welt.
Diese Strategie zielt darauf ab, einen kontroversen Wahlkampf mit entsprechenden mobilisierender Wirkung zu vermeiden. Dem politischen Gegner soll keine Angriffsfläche geboten und der Eindruck vermittelt werden, als gäbe es keine Alternative zur Amtsinhaberin. In der Politikwissenschaft wird dieses Verfahren als asymmetrische Demobilisierung bezeichnet. Die typischen SPD-Wähler sollen doch einfach zu Hause bleiben, weil es eh keinen Sinn macht, wählen zu gehen. 2009 hat dieses Verfahren hervorragend funktioniert und auch bis zum Wochenende schien es zu klappen: „Angela Merkel und die ihren hatten bis Sonntagabend 20.30 Uhr ihre Schäfchen weitgehend insTrockene gebracht.“, so schreibt die TAZ nach dem TV-Duell zwischen Kanzlerin und Herausforderer. Nach dem Duell sei nun alles anders, so die TAZ. Auch andernorts kann man diese Interpretation lesen, dass es Peer Steinbrück im Duell endlich gelungen sei, diese Strategie zu durchbrechen und Leben in den Wahlkampf zu bringen. Es fragt sich nur, ob im politischen Feuilleton nicht der Wunsch Vater des Gedankens ist und ob nun wirklich Leben in die Bude kommt.

Wenn man verschiedene Wahlkämpfe der letzten Jahrzehnte Revue passieren läßt, um sich Inspirationen zu holen, so stößt man unwillkürlich auf den Wahlkampf 1969, der sich als Vergleich anbietet. Damals kam die SPD aus einer großen Koalition und musste sich gegen den eigenen Regierungspartner profilieren. Indirekt haben wir eine ähnliche Situation, trägt die SPD doch die Europapolitik der Regierung in einer Art Vasallentreue mit und, nachdem die aktuelle Regierung in den letzten vier Jahren wenig Produktives geleistet hat, muss man als SPD mit einer umfassenden Kritik eher vorsichtig umgehen, war man doch bis 2009 selber an allen Entscheidungen der vergangenen 11 Jahre maßgeblich mitbeteiligt. Fast jede Kritik an der aktuellen Regierung kann denn auch ergänzt werden mit einem Hinweis darauf, dass die SPD doch irgendwie an der Entscheidung mit beteiligt gewesen sei. Kritik alleine also wird nicht genügen, um eine weitere Kanzlerschaft von Frau Merkel zu verhindern.

Harry Walter, Wahlkampfmanager Willy Brandts 1969 hat, in Bezug auf die aktuelle SPD im Mai 2013 folgende Kritik formuliert:
„Irritiert haben mich die Plakate auf dem SPD-Parteitag. Auf dem einen sah man ein Mädchen mit Arbeiterhelm und Pferdeschwanz, auf einem anderen war eine Hand abgebildet, die auf einer Tastatur liegt. Klassische Motive also, um sich mit Zielgruppen wie Arbeitern und jungen Frauen zu solidarisieren. Aber wo ist die Vision? Nur Zielgruppen abzubilden, reicht nicht. Was fehlt, ist eine Zukunftsvision, die allen Bürgern – auch den Älteren – klar vermittelt, was die SPD in Europa für uns Deutsche erreichen will.“
Albrecht Müller, Wahlkampfkoordinator des Brandt-Wahlkampfs 1972, hat diesen Gedanken an anderer Stelle aufgegriffen und - im Vergleich zum 72er-Wahlkampf – auf den Zusammenhang hingewiesen, dass es für die Mobilisierung der eigenen Wählerklientel unabdingbar ist, eine politische Alternative aufzuzeigen:
„Klar, die Welt ist eine andere. Es gibt heute keine Achtundsechziger-Bewegung, die zumindest die Politisierung großer Teile der Studenten erreicht hatte. Das Fernsehen ist kommerzialisiert. Es gibt fast keine kritischen Medien. Sehr viel mehr Menschen sind arbeitslos oder in prekären Arbeitsverhältnissen mit Minilöhnen. Junge Menschen haben auch nicht annähernd die gleiche Berufsperspektive und Auswahl an Jobangeboten, wie wir das als Dreißigjährige 1968 oder 1972 hatten. „Erst das Fressen, dann die Moral“. Erst der Beruf und der Job und dann das politische Interesse und noch viel später das politische Engagement. Das nagt heute an der Mobilisierungsfähigkeit der politischen Parteien. Alle etablierten Parteien haben Mitglieder verloren. Die SPD hatte 1972 mehr als eine Million Mitglieder. Heute sind es weniger als 500 000. Während des Wahlkampfs 1972 hatte sie alleine 155 992 neue Mitglieder und dabei die Hälfte unter dreißig Jahren hinzugewonnen. Schon diese Erfahrung spricht eher dafür, die Politisierung neu zu versuchen, als die Hände resigniert in den Schoß zu legen. Wir alle, unabhängig von unserer Parteipräferenz, werden bei der nächsten Wahl keine echte Alternative zu Angela Merkel und einer von ihr geführten Bundesregierung haben, wenn die SPD sich nicht auf die Notwendigkeit der Mobilisierung der Sympathisanten einer politischen Alternative besinnt.“
Hans-Jürgen Wischnewski hatte im Vorfeld der Wahl in einem Positionspapier (Wahlkampf 1969: Aufgaben und Chancen der SPD) den kommenden Wahlkampf versucht einzuordnen. Einzelne Passagen passen heute wieder:
„Aufgabe der SPD ist es jetzt, ihre offensive Position verstärkt zu nützen, die Versäumnisse und die Planlosigkeit insbesondere ihres Hauptgegners in diesem Wahlkampf der CDU/CSU klar hervorzuheben und den Wählern deutlich zu machen, daß die Unionsparteien keine Alternative anzubieten haben.“ (…) „Die große Mehrheit der Bürger unseres Landes ist bereit, sich für neue Wege in der Politik zu entscheiden, nur eine Minderheit vertraut weiterhin der konservativen Formel „Keine Experimente“.
Auch damals stand der SPD-Kanzlerkandidat einem populären CDU-Kanzler gegenüber, den die Wahlkampfstrategen nicht allzu direkt angehen wollten, um (falsche) Solidarisierungseffekte zu vermeiden.
Der oben erwähnte Harry Walter umging diese Falle,
„Indem ich einen Paradigmenwechsel vorgenommen habe: Ich habe nicht erzählt, wie schlecht die CDU ist, sondern was die SPD will. Stellvertretend dafür stand der Spruch „Wir schaffen das moderne Deutschland“. Brandt fand das auf Anhieb gut. Alle potenziellen Minister mussten konkrete Vorschläge machen, was das moderne Deutschland für sie bedeutet. So ist schließlich aus dem Slogan ein Regierungsprogramm geworden.“
Auf dieser Basis führte Willy Brandt seine SPD an die Schalthebel der Macht und fasste in seiner Regierungserklärung vom 28.Oktober 1969 den Aspekt der politischen Alternative in den Begriff des „Wir wollen mehr Demokratie wagen.“
„Seit Sonntag ist wieder Musik in dieser eigentlich abgehakten Geschichte namens Wahlkampf. Merkel wird kein einfach nur akklamiertes Votum erhalten. Wenn die SPD und die Grünen jetzt nicht nur vor sich hinmeckern, sondern kämpfen, auch wenn das richtig anstrengt, ist selbstverständlich ein Wechsel möglich.Fallen sie wieder in den Modus der Desinteressiertheit, diffamieren sie die Millionen vor den Fernsehern, die offenbar einem wie Steinbrück eine Chance geben wollen. Es ist mehr politische Wachheit im Publikum, als die Opposition selbst anzunehmen bereit war.Ob sIe dieses Kapital nutzt, entscheiden sie allein.“
So macht sich die TAZ und dem rotgrünen Lager nach dem TV-Duell Mut.
Entscheidend wird nun aber sein, dass es der SPD (und den Grünen) gelingt, zu zeigen, dass mit dem rot-grünen Bündnis eine politische Alternative zur aktuellen Regierung verbunden ist. Und hier ist die ganze SPD gefordert. Peer Steinbrück hat eine Vergangenheit, die ihn angreifbar macht. Er stützte die Agenda 2010 und er war Finanzminister in der großen Koalition, d.h.: er war mitverantwortlich für den von vielen so empfundenen sozialpolitischen Supergau der Hartz-IV-Reformen und er hat die Rettung des Euro und damit die wirtschaftspolitische Solidarität (nicht unbedingt die soziale) im vereinigten Europa über jede populisitsche Kritik an der Regierung gestellt. In beiden Bereichen wurde und wird gerne damit argumentiert, dass alle getroffenen Entscheidungen alternativlos (gewesen) seien. Dem ist natürlich nicht so. Das aktuelle Wahlprogramm der SPD zeigt es ja überdeutlich, wenn „Fehlentwicklungen“ in Folge der Agenda 2010 - Gesetzgebung jetzt korrigiert werden sollen. Auch die Positionierung der SPD in der Eurokrise folgt diesem Muster: es geht auch anders, sagte Peer Steinbrück im TV-Duell.
Ein Peer alleine wird es aber nicht retten. Will die SPD wirklich regieren, dann muss sie in den kommenden drei Wochen auf jedem Marktplatz dieser Republik das Andere, das Neue der eigenen Politik zeigen. Der von der CDU erhofften asymmetrischen Demobilisierung muss ein besonderer Mobilisierungselan entgegengestellt werden. Das kann aber nur erreicht werden, wenn es Rot-Grün gelingt, zu zeigen, was anders und besser gemacht werden soll. Mit Leidenschaft und mit Wagmut, denn: politische Langeweile hatten wir die letzten Jahre genug.




Montag, 5. August 2013
"Die niedrigen Zinsen in Europa lassen die Sparguthaben der Bundesbürger schrumpfen: Die Spareinlagen bei Banken werden in diesem Jahr real 14 Milliarden Euro an Wert verlieren. Dies errechnete die Postbank."
Habe ich heute in der Tageszeitung gelesen und mich gefragt, was da fehlt … Vielleicht eine nachvollziehbare Erklärung?
"Durch den Anstieg der Inflation bei anhaltend niedrigen Zinsen wird sich die reale Vermögensentwertung beschleunigen", sagte er der "Bild"-Zeitung. Die Europäische Zentralbank (EZB) hatte den Leitzins im Frühjahr auf 0,5 Prozent gesenkt, um die Rezession im Euroraum zu bekämpfen.
Also, so wird dem Leser / der Leserin suggeriert, es liegt an der Inflation bei „anhaltend niedrigen Zinsen“ und daran, dass die Rezession im Euroraum bekämpft werden müsse und diese mache die EZB mit dem historisch niedrigen Leitzins.
Irgendwie erscheint mir das etwas kurz gesprungen.
Das mit der Inflation, nun ja, das ist ein kleines Rätsel, warum sie anzieht und warum nicht, das erschließt sich uns wirtschaftspolitischen Laien kaum, es handelt sich für uns vielmehr um eine Art göttliche Fügung.
Anders dagegen das Zinsniveau, das wird ja durch die Zentralbanken gesteuert. Je günstiger sich Geschäftsbanken bei der Zentralbank refinanzieren können, desto niedriger im Normalfall das Zinsniveau. Und der Leitzins ist die Größe, über die die Refinanzierung der Geschäftsbanken gesteuert wird.

Spannend aber wäre es gewesen im Gutachten der Postbank zu lesen, warum die Zentralbank den Leitzins auf diesem historisch niedrigen Wert belässt. Aber eine Bank hackt einer anderen kein Auge aus – deshalb mochte die Postbank vielleicht nicht mit der ganzen Wahrheit rausrücken.
Es ist doch wohl so, dass der einfache Sparer durch seine niedrigen Zinsen die Kosten der Finanzkrise zu schultern hat. Das Finanzkapital hat … nein, genauer: Finanzinstitute und vermögende Menschen haben aus halbgaren Finanzprodukten einen dicken Profit gezogen. Im Grunde in Form von Kettenbriefgeschäften hat man Menschen (und Banken und Kommunen), die von dieser Form der Kapitalanlagen nichts verstehen, diese Dinge angedreht. Das ging einige Jahre gut und 2008 platze die Bombe: die Geschäftsgrundlage für diese Kapitalprodukte: sinnlos überbewertete Immobilien in den USA und daran hängend die Hypothekenkredite waren das Geld nicht wert, das dafür auf dem Höhepunkt der Hype bezahlt worden war.
Die darauf basierenden „Wert“Papiere verloren rapide an Wert, ein jeder wollte die ihm gehörenden schnellstmöglich verkaufen, worauf der Markt für diese Produkte endgültig zusammenbrach. Den Teil der Geschichte kennen wir.
Um aber Roß und Reiter zu benennen: mit diesen Produkten haben die eh schon Reichen dieser Erde Milliarden über Milliarden verdient und die Handlager in den Banken und den Hedgefonds sind darüber vermögend geworden. Verloren haben die Anleger am Ende der Kette, die auf den inzwischen wertlosen Produkten sitzengeblieben sind. Wir erinnern uns: die Lehman-Geschädigten, die heute noch auf eine Entschädigung hoffen. Und verloren haben die SteuerzahlerInnen, die nun für insolvente und fast insolvente Banken haften, deren Geschäftstätigkeit weder die PolitikerInnen noch wir Normalsterblichen je verstanden haben. Deren Verluste, das haben wir inzwischen verstanden, sind dafür direkt verstaatlicht worden. Wir erinnern uns: WestLB, genau, direkt vor unserer Haustüre …. Und das Land NRW und die lokalen Sparkassen sind mit 5 Milliarden dabei, um die Verluste dieser Bank nachträglich auszugleichen. Diese Milliarden zahlen wir. Mit unseren Steuern. Mit Gebühren und niedrigeren Zinsen bei unseren Sparkassen.
Und was lokal funktioniert, das funktioniert auch national und vermutlich auch EU-weit. Die großen Risiken liegen ja nicht bei unserer Landesregierung sondern bei den Zentralbanken und beim Bund. Dort werden die großen Verluste und Risiken gebunkert: Bad-Bank-Konstrukte; Aufkaufprogramme für im Wert massiv geminderte Staatsanleihen der Mittelmeeranrainer beispielsweise. Man hofft, diese Papiere später wieder zu Geld machen zu können und die Verluste so zu minimieren. Wie das aber im Leben so ist, wenn ich einer Bank ein Wertpapier abkaufe, so will die Bank von mir Geld sehen. Genauso ist es mit den Aufkaufprogrammen. Die Banken verkaufen ihre schlechten Papiere an die dafür aufgelegten EU-Fonds, vermutlich zu einem politisch gewollt überhöhten Preis und erhalten dafür echtes Geld. Das Geld muss auch irgendwoher kommen. Weswegen sich diese Fonds das Geld, das sie für die Aufkäufe benötigen, am Markt leihen. Zu sehr günstigen Konditionen, denn einerseits haften die die großen EU-Länder und andererseits hält die Zentralbank den Leitzins unten ….

Halt, stopp – genau: wir haben oben gehört, dass dank des niedrigen Leitzinses der deutsche Sparer Milliarden verliert und nun, im Verlaufe der Erzählung, hören wir, dass der Leitzins deshalb so niedrig ist, um die Folgen der Finanzkrise aufzufangen. Schlussfolgerung: oben haben einige Milliarden verdient und am anderen Ende der Kette zahlen die kleinen Sparer und die Steuerzahler die Verluste. Man könnte ins Grübeln geraten. Aber das tun wir lieber nicht, denn dann müssten wir uns darüber Gedanken machen, ob die durch unsere Regierung verfolgte Krisenpolitik wirklich im Sinne des deutschen Durchschnittssparers ist, oder ob hier nicht das alte Spiel in eine neue Runde gegangen ist: Gewinne privatisieren, Verluste sozialisieren. Dumm nur, dass am Ende der Geschichte die einen reicher und reicher geworden sind und die anderen ihr kleines Guthaben bei der Bank und ihre Altersversorgung verloren haben werden.

Und richtig blöde: wir haben Wahlkampf und keiner spricht drüber …..




Donnerstag, 1. August 2013
Wenn das denn noch reichen würde:



Und das, obwohl wir kein Überwachungsstaat sind, wie unsere Bundeskanzlerin so treffend formuliert hat:



Aber insgeheim scheint in der Bundesregierung eine andere Vorstellung über das Verhältnis von Freiheit und Überwachung zu herrschen:



Und wenn dann nachgefragt wird, dann machen wir mal so:





Dienstag, 30. Juli 2013
Ich find' ja beide gut - wobei ... ne, ich kann mich nicht entscheiden.





wobei, das ist auch recht hübsch.





Freitag, 19. Juli 2013
2009 gewann die CDU den Wahlkreis mit 39,4 %. Der bisherige Abgeordnete der CDU, Willi Zylajev hat eine erneute Kandidatur abgelehnt. Seine damalige Gegenkandidatin von der SPD, Gaby Frechen aus Hürth hat ihre Chancen frühzeitig verspielt, als sie sich selber in Form einer Kamikazekampgane 2012 bei den vorgezogenen Landtagswahlen als innerparteiliche Kandidatin präsentierte.
So kandidieren nun für die SPD der Pulheimer Dierk Timm gegen den Bedburger CDU-Kandidaten Georg Kippels.
Eigentlich, so könnte man meinen, ein offenes Rennen in dem ehemals roten Wahlbezirk (1998, 2002 und 2006 fiel der Wahlkreis mit jeweils rund 48% an die SPD). Wenn nicht hier, wo dann sollte die SPD eine realistische Chance auf das Direktmandat haben? Insbesondere vor dem fulminanten Erfolg bei den Landtagswahlen 2012., als alle drei Mandate im Kreis von der SPD zurückerobert wurden, ja da konnte man glauben, die SPD habe zu alter Kraft zurückgefunden.
Zudem treffen bei dieser Wahl zwei Kandidaten aufeinander die beide in Teilen des Wahlkreises unbekannt sind. Kein Kandidat profitiert von einem Amtsbonus. Selten, so konnte man glauben, war ein Rennen offener.

Doch der sozialdemokratische Elan scheint verpufft. Die Landtagswahl 2012 war keine Rückkehr zu alter Stärke, viel eher erweisen sich die Erfolge der SPD im Kreis als ein Strohfeuer. Hier in Frechen jedenfalls ist nichts zu spüren von den Glücksgefühlen des vergangenen Jahrs.
Wer erinnert sich noch an die Landtagswahlstände der SPD vor dem Klüttenbrunnen im vergangenen Jahr? Da bot die SPD ein lange nicht mehr gesehenes Bild: ein voller Stand, viel Elan, die WahlkämpferInnen gingen auf die Menschen zu …. Da war eine positive Dynamik zu spüren.
Ganz im Gegensatz dazu die CDU im Landtagswahlkampf – da verspürte man eine depressive Grundstimmung und man machte lieber einen Bogen um deren Stand.

Wie sich die CDU in der Frechener Fußgängerzone aktuell präsentiert, kann ich nicht sagen, ich habe ihren Stand noch nicht gesehen. Gesehen aber habe ich den Stand der SPD und hier war die Stimmung gedämpft, deutlich weniger WahlkämpferInnen als 2012, weniger Präsenz und schon gar keine Dynamik.

Dieses Bauchgefühl fand ich nun bei einem Wahlforscher bestätigt, der mit einer überraschenden Sicherheit Wahlergebnisse auf Wahlkreisebene prognostiziert.

Für den Wahlkreis Rhein-Erft I sagt er mit Stand 23.06.2013 einen erkennbaren Vorsprung für die CDU voraus.


Je dunkler das blau, desto sicherer geht der Wahlkreis an die CDU.

Verallgemeinernd, aber sicherlich auch zutreffend für den hiesigen Wahlkreis, erklärt er:
Wie desolat die Lage der Sozialdemokraten inzwischen ist, zeigt die Tatsache, dass für sie nur mehr sechs Direktmandate als sicher gelten können. (…) Die große Dominanz der Union erklärt sich neben dem im Vergleich zur SPD deutlich höheren Zweitstimmenanteil aus dem Stimmensplitting. Während bei Schwarz-Gelb die Teamarbeit funktioniert (…) sind die Anhänger der GRÜNEN selbstbewusster und wählen gerne durch, zumal deren Kandidaten auch jenseits von Berlin zunehmend bessere Chancen haben. Die SPD erhält so bestenfalls von einem Drittel der GRÜN-Wählerinnen und Wähler die Erststimme. Fast gar nichts zu erwarten haben SPD-Kandidaten von Wählern der LINKEN. Nur ein Achtel ihrer Anhänger entscheidet sich für die SPD-Kandidatin oder den SPD-Kandidaten im Wahlkreis.
Man kann bei der Analyse natürlich auf das gewachsene Selbstbewußtsein der Grün-Wähler verweisen, möglicherweise ist es daneben aber auch eine Frage des „Angebots“. Warum sollte ein grüner Wähler sich für einen SPD-Kandidaten entscheiden, dessen politische Biographie nicht erkennen läßt, dass er für grüne Themen offen ist?
Zudem handelt es sich beim Stimmensplitting um eine Vernunftentscheidung – vernünftig ist ein Stimmensplitting, wenn der Kandidat der „Partner“-Partei eine reale Chance hat, den Wahlkreis zu gewinnen.
Wenn also die SPD auf die Stimmen der Anhänger der Grünen angewiesen ist, dann muss sie ein Angebot machen: in der Person des Kandidaten, in der Sache oder in Form einer realistischen Erfolgserwartung.

Es sieht so aus, als sei das Angebot der SPD bei dieser Wahl in keinem der drei Punkte attraktiv für grüne WählerInnen.

Daher spricht hier im Wahlkreis Rhein-Erft I bisher wenig für den Erfolg des SPD-Kandidaten.
Weder das eigene Bauchgefühl noch der Wahlprognostiker.




Samstag, 6. Oktober 2012
Der arme Direktkandidat der SPD muss leider, leider kandidieren und, es ist schon wirklich schlimm bestellt um die Demokratie, muss deshalb auf seine ihm zustehenden Herbstferien verzichten.

Unser gesamtes Mitgefühl gehört dem Direktkandidaten der SPD im Wahlkreis Rheinerft Nord.

Echt.
Fundstelle: Sonntagspost v. 06.10.2012