„Das Gymnasium Frechen versteht sich in erster Linie als Gymnasium für alle Frechener Kinder und Jugendliche.“
So das Selbstverständnis des Frechener Gymnasiums, wie es in der Stellungnahme der Gymnasiums zum neuen Frechener Schulentwicklungsplan zu finden ist.

Bei einem Blick auf die Anmeldezahlen des Frechener Gymnasiums findet man diese Selbsteinschätzung jedoch eher nicht bestätigt. Gelang es dem Gymnasium für das Schuljahr 2013/14 noch über 35% der Eltern der Viertklässler von der Qualität der eigenen Schule zu überzeugen, so ist diese Quote inzwischen auf gerade noch 28,7 % gesunken.

Das ist natürlich schon sehr erstaunlich, denn das Gymnasium rühmt sich, dass „es als einziges Gymnasium im Rhein-Erft-Kreis den Status als MINT-ec-Schule (…)“ hat. Ja, dass es „einen exzellenten Unterricht in Naturwissenschaften“ bietet und „in allen Aufgabenfeldern interessante Angebote bereit“ hält.

Irgendetwas muss da wohl gravierend schief laufen. Auch hierzu hat das Gymnasium ein paar Erklärungen, die jedoch die eigene Selbstwahrnehmung nicht arg beeinträchtigen:
Zum einen natürlich die Eltern, die Kinder auf’s Gymnasium schicken, wo doch bereits zuvor klar war, dass für viele dieser Kinder das Gymnasium nicht geeignet ist:
Das lässt aber außer Acht, dass die Schülerzahlen gerade zum Schuljahr 2012/13 extrem angestiegen war, und zwar so extrem, dass sich bei vielen dieser Schülerinnen und Schüler herausstellte, dass sie für die Schulform Gymnasium nicht geeignet waren.
Und der Rest erklärt sich relativ einfach aus einer Art Frechener Tradition, die Kinder auf externe Gymnasien zu schicken:
Die Zahl der Auspendler ist in Frechen schon lange relativ hoch. Es gibt traditionelle Bindungen zu Kölner Schulen bzw. Frechener Schülerinnen und Schüler besuchen Gymnasien in Nachbargemeinden, die für sie näher liegen als das Gymnasium Frechen.
Auch hier sollte man besser nicht allzu tief in die Statistik einsteigen, denn die statistische Wahrheit und die gymnasiale Wahrheit weichen etwas voneinander ab.

Ein Blick auf die erste Grafik belegt eine abweichende Entwicklung:
2013/14 war ein sehr starker Schülerjahrgang zur Anmeldung gekommen. Von 450 Abgängen der Grundschule wollten 35% auf das Frechener Gymnasium und weitere 20% wählten ein Gymnasium oder eine Gesamtschule außerhalb Frechens aus. 2014/15 haben nur 389 Kinder von der Grundschule auf’s Gymnasium gewechselt. Bei einer Quote von 35% hätten sich 136 Kinder für’s Gymnasium entscheiden müssen, aber nur 120 Kinder (= 31%) haben das getan. 2015/16 ist wieder ein recht starker Jahrgang, 425 Kinder suchen eine weiterführende Schule. Bei einer Quote von 35% müssten sich 149 Kinder für’s Gymnasium entschieden. Es waren aber nur 122 (29%). Davon abweichend die Entwicklung bei der eh komplett überfüllten Realschule, diese hat von 2013/14 auf 2014/15 ihren Anteil von 30 auf 37% der Kinder erhöht und sich in diesem Jahr auf dieser Höhe gehalten. Absolut bedeutet das, dass dieses Jahr 156 Frechener Kinder die Realschule besuchen.

Irgendetwas scheint da ins Rutschen gekommen zu sein.

Ebenso erstaunlich ist, dass das „einzige“ MINT-ec-Gymnasium im Rhein-Erft-Kreis mit „exzellentem Unterricht in Naturwissenschaften“ es nicht vermag, auswärtige SchülerInnen anzuziehen. Noch 2013/14 haben sich 12 Kinder aus Umlandgemeinden am Frechener Gymnasium angemeldet, letztes Jahr waren es noch drei und für das nächste Schuljahr konnte das hiesige Gymnasium noch ein einziges externes Kind von der eigenen Qualität überzeugen.

Das Albert-Schweitzer-Gymnasium in Hürth, ein Gymnasium ohne jegliche Besonderheit, hat es geschafft, die Eltern von 20 Frechener Kindern zu binden.
Das räumliche Argument, das sich in der Stellungnahme des Frechener Gymnasiums findet, dass nämlich in bestimmten Wohnlagen das externe Gymnasium näher gelegen sei, als das städtische greift als Erklärungsmuster hier nicht. Der Schulweg zum Hürther Gymnasium ist, egal wo die Kinder in Frechen wohnen, immer länger als zum Frechener.

Darf man fragen, was das Hürther Gymnasium besser macht?

Noch viel weniger greift das räumliche Argument für die beiden Kinder, die bspw. das Gymnasium in Kerpen besuchen. Eine Verdoppelung, ja Verdreifachung des Schulwegs, nur um nicht das Frechener Gymnasium besuchen zu müssen, das ist erklärungsbedürftig.

Aber im Grunde liefert die gymnasiale Stellungnahme selber genügend Hinweise, warum viele Eltern das lokale Gymnasium meiden:
Da ist natürlich der gepflegte Bildungsdünkel („… für die Schulform nicht geeignet“), der sich in Aussagen wie der fehlenden Eignung bestimmter Kinder Ausdruck verschafft.

Das Problem ist aber auch sprachlich zu erkennen, denn in Bezug auf die MINT-Qualitäten wird der „exzellente Unterricht“ durch die vielen Fachlehrer gelobt, ebsnso die tolle Ausstattung der Räumlichkeiten. Daneben gebe es weitere tolle (freiwillige) Angebote in einem Leistungszentrum.
Und ansonsten hält das Gymnasium „in allen Aufgabenfeldern interessante Angebote“ bereit und verweist dabei auf freiwillige Arbeitsgemeinschaften oder Austauschprogramme mit ausländischen Schulen.

Könnte es sein, dass sich hierin implizit eine unterschiedliche Wertigkeit zwischen dem naturwissenschaftlichen und den übrigen Lernbereichen Ausdruck verschafft?

Beim derzeitigen Stand der Erkenntnis bleibt festzuhalten, dass das Frechener Gymnasium vor einem echten Problem steht:
anscheinend differieren Fremd- und Selbsteinschätzung gewaltig mit der Folge, dass jedes Jahr mehr Eltern für ihre Kinder eine schulische Alternative suchen.

Kommt nun zum kommenden Schuljahr 2016/17 die Gesamtschule, so muss das Gymnasium befürchten, in die gepflegte Vierzügigkeit zurückzufallen.

Beruhigend für alle Frechener Kinder: es gibt dann endlich eine zum Abitur führende schulische Alternative vor Ort. Kinder, denen das Gymnasium die gymnasiale Reife abspricht, können an der neuen Gesamtschule vor Ort ihr Abitur machen, ohne als „nicht geeignet“ gebrandmarkt zu werden.

Das alleine ist es wert, dass die Gesamtschule kommt.





travelfox42, Mittwoch, 3. Juni 2015, 00:45
Vielleicht ist das Frechener Gymnasium auch nur endlich mal eine Schule, die entsprechende hohe Anforderungen stellt und nicht durch ständig runtergeschraubte Leistungsanforderungen möglichst viele Kinder zum Abitur bringen will? Wäre nicht das schlechteste. MINT-Fächer sind leider im westlichen Teil Deutschlands oft als überbewertet und überflüssig angesehen. Gut, dass noch einige wenige Schulen dagegenhalten. Unsinn beispielsweise ist meiner Meinung nach das Zusammenwerfen von Physik, Chemie und Biologie zu einem Fach Naturwissenschaften, wie in den Gesamtschulen praktiziert. Da lernt man von allem etwas, aber nichts ausreichend. Ich bin froh, dass es das Frechener Gymnasium gibt. Und für Kinder, die damit nicht zurechtkommen, bekommt Frechen ja jetzt auch die gewünschte Gesamtschule. Damit können doch nun alle leben, ohne gleich über das Gymnasium herziehen zu müssen, oder?

Eine persönliche Anmerkung sei mir gestattet: Aus vielen Artikeln des Bloggers hier spricht eine Verachtung von anderen Anschauungen, Lebensweisen oder Vorstellungen. Ob es nun das "schreckliche" Gymnasium ist, die "Pfründe" der Sonderschullehrerinnen, die "trägen" Kreisgrünen, die einfach nicht verstehen wollen, was Inklusion bedeutet (vielleicht haben sie auch nur mal die BRK richtig gelesen und das Grundrecht auf Bildung darin gefunden und es nicht nur einseitig auf Inklusion ausgelegt), usw. Ich finde, man sollte auch andere Lebensweisen akzeptieren und respektieren. Oder sehe ich das falsch?


antoine favier, Mittwoch, 3. Juni 2015, 10:28
"Verachtung ist eine starke Geringschätzung, basierend auf der Überzeugung des Unwertes der von ihr betroffenen Personen (auch Personengruppen) oder Institutionen", sagt Wikipedia.

Verachtung ist in den Artikel keine enthalten, sehr wohl aber deutliche Kritik, Kritik, die sich immer am Selbstverständnis der Kritisierten orientiert. (Falls es Ihnen gelingen sollte, diesen Nachweis zu führen, nur zu, ich bin gespannt.)

Die Grünen bspw. machten Wahlkampf für die Inklusion. Da kann man ja die Kreisgrünen mal daran erinnern und für ihre laue Haltung in dieser Frage kritisieren.

Das Gymnasium erklärt, es sei eine Schule für alle Frechener Kinder. Die Statistik und die eigenen Äußerungen lassen diese Interpretation eher fraglich erscheinen und Ihre Verteidigungsrede reflektiert die Abgrenzung im fachlichen Bereich als auch bei der Frage, welche Kinder das Gymnasium besuchen sollen / können.

Man kann das MINT-Konzept verknüpft mit einem bestimmten elitären Anspruch für gut befinden - die Frage ist, ob es sich dann noch um eine Schule für alle Frechener Kinder handelt.

Im übrigen: Lebensweisen wurden hier im Blog noch an keiner Stelle kritisiert - der Blogger beschränkt sich auf den politischen Raum.


travelfox42, Mittwoch, 3. Juni 2015, 16:57
Ok, beim letzten Punkt stimme ich zu. :-)

Bzgl. Schule für alle und elitärem Konzept nicht so ganz. Bei aller Diskussion der Schullandschaft, ein Gymnasium kann nach meinem Verständnis niemals Schule für alle sein. Nur eine Gesamtschule ist Schule für alle, alle anderen Schulen selektieren. Und das ist meiner Meinung nach auch so gewollt.

Daher meine hoffentlich aus so verstandene versöhnliche Aussage, dass nun, da ja die Gesamtschule kommt, jeder nach seinem Gusto glücklich werden kann. Aber es wird immer Kinder geben, die sich an einer Gesamtschule nicht wiederfinden - und genau für die gibt es dann die anderen Schulformen. Diese alle abzuschaffen und die Gesamtschule als alleinige Schulform zu etablieren, wäre aber sicherlich überzogen.

Das wäre dann aber doch ein wenig viel Gleichmacherei. Und die haben wir doch vor 26 Jahren überwunden.


antoine favier, Donnerstag, 4. Juni 2015, 01:17
"Das Gymnasium ist eine Schule für alle Frechener Kinder" sagt das Gymnasium, war nicht meine Idee. Wer sich so präsentiert muss sich daran messen lassen .... Ansonsten: Eine Gesamtschule hat nichts mit Gleichmacherei zu tun - auch in dieser Schulform wird differenziert.