Montag, 10. Februar 2020
Thema: Opposition
Am 04. Februar 1920 wurde im Reichsgesetzblatt das erste parlamentarisch beschlossene Betriebsrätegesetz veröffentlicht und erlangte hierdurch Geltung. Das war vor genau 100 Jahren. Mit diesem Datum wurde die Mitbestimmung in den Unternehmen gesetzlich institutionalisiert.

Leider hat dieses Jubiläum außerhalb der Kreise, die sich beruflich mit Fragen der betrieblichen Mitbestimmung beschäftigen wenig Reaktionen hervorgerufen. Dabei war und ist die betriebliche Mitbestimmung von hoher Relevanz um dem ungezügelten, dem neoliberalen Kapitalismus Zügel anzulegen. So singt man in der Bundesrepublik gerne das Hohelied auf die soziale Marktwirtschaft, ein nur anderer Begriff für eine Form des Kapitalismus, der sozial etwas eingehegt ist. Gerne wird dann auf die staatlichen sozialen Schutzmechanismen wie Rentenversicherung, Arbeiterschutzgesetze etc. pp. verwiesen. Ebenso leicht wird jedoch die betriebliche Mitbestimmung vergessen, die an der Schnittstelle von Kapital und Arbeit im Betrieb für Ausgleich sorgen soll. Eine im Grunde zentrale Funktion, denn nur wenn dort, wo Arbeit und Kapital täglich aufeinander stoßen, Konflikte frühzeitig eingehegt werden, kann vermieden werden, dass diese ungebremst auf die bundesdeutsche Politik durchschlagen.

Das Gesetz von 1920 war daher eine wichtige Etappe auf dem Weg zum heute geltenden Betriebsverfassungsgesetz.
Die Mitbestimmung ist uns Arbeitnehmer*innen dabei nicht in den Schoss gefallen. Sie musste erkämpft werden. Mit etwas Pathos kann auch formuliert werden, dass für die betriebliche Mitbestimmung Arbeiterinnen und Arbeiter ihr Leben gelassen haben. Auch daran soll erinnert werden.

Der Krieg als Vater aller Dinge?

Gesetze entstehen nicht aus dem Nichts, sie haben eine Vorgeschichte. Ohne zu tief in die Frühgeschichte des kollektiven Arbeitsrechts eintreten zu wollen, ist festzuhalten, dass Arbeiterinnen und Arbeiter in der Revolution von 1848 erstmals europaweit ihren Anspruch auf Gleichberechtigung anmeldeten.
Erste Ansätze zu einer kollektiven Vertretung von Arbeiterrechten in Betrieben erfolgten 1891 in der Reichsgewerbeordnung und den bayerischen (1900) und preußischen (1905) Berggesetzen, wobei die Kompetenzen der hier eingeführten Arbeiterausschüsse sehr gering waren.
Erst die militärische Notlage des deutschen Reiches im 1. Weltkrieg im Jahre 1916 führte zu einer grundlegenden Änderung. Der ursprünglich erwartete Blitzkrieg war zum Abnutzungskrieg geworden, die Opferzahlen an der Front stiegen ins schier Unermessliche und zur Fortsetzung des Krieges war eine massive Ausweitung der Produktion erforderlich. Aus militärischer Sicht musste die Arbeitskräftefluktuation eingeschränkt werden, die Arbeitsbeziehungen sollten militarisiert werden und das Militär die totale Kontrolle über die Wirtschaft erhalten. Über eine Frauendienstpflicht wollte die Oberste Heeresleitung Männer aus dem Produktionsprozess herauslösen und zum Militärdienst einziehen.
Alle dies Maßnahmen sollten im sogenannten „Hilfsdienstgesetzes“ (HDG) geregelt werden. Aufgrund der militärischen Lage war die Oberste Heeresleitung aber gezwungen Zugeständnisse zu machen.
Die für die Arbeiter*innen relevanten Zugeständnisse finden sich in den §§ 9 und 11 HDG. Hier wurde einerseits festgelegt, dass Arbeiter*innen auch in kriegswichtigen Betrieben weiterhin ihren Arbeitsplatz wechseln dürfen. Wollte ein Arbeitgeber keine Freigabe erteilen, so konnten die Betroffenen einen paritätisch von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern besetzten Schlichtungsausschuss anrufen. Unter dem Vorsitz eines Offiziers wurde dann über die Berechtigung eines Arbeitsplatzwechsels entschieden. Diese Schlichtungsausschüsse sollten auch bei Arbeitskonflikten in den Betrieben schlichten. Indirekt wurden die Gewerkschaften, aus deren Reihen die Arbeitnehmervertreter stammten, über die Schlichtungsausschüsse als gleichberechtigte Verhandlungspartner der Unternehmer anerkannt.
Im § 11 HDG wurde festgelegt, dass in kriegswichtigen Betrieben mit mindestens 50 Arbeiter*innen oder Angestellten in geheimer Wahl ein Arbeiterausschuss bzw. ein Angestelltenausschuss zu bestimmen sei. Diese Ausschüsse waren berechtigt, dem Arbeitgeber Wünsche und Klagen der Beschäftigten zu Fragen des Arbeitsschutzes und des Arbeitslohns zur Kenntnis zu bringen. Existierte kein entsprechender Ausschuss konnten sich die Arbeiter*innen direkt an den Schlichtungsausschuss wenden. Die Unternehmer wurden im gleichen Zuge verpflichtet, Auskunft über die Betriebslage sowie zur Beschäftigungs- und Lohnfragen zu geben.
Analog der Aufwertung der Gewerkschaften in den Schlichtungsausschüssen wurden die Arbeiter- und Angestelltenausschüsse auf Betriebsebene in bestimmten Bereichen der Arbeitsbeziehungen erstmalig als Verhandlungspartner der Unternehmer anerkannt.
Erste Pflöcke, den „Unternehmerabsolutismus“ einzuschränken, waren eingeschlagen worden.
Da das Hilfsdienstgesetz mit einem „Verfallsdatum“ versehen worden war, es endet automatisch mit dem Kriegsende, bedeutete die Kapitulation vom 11. November 1918 auch das Ende des Hilfsdienstgesetzes.
Nur wenige Wochen später erließ der durch die Revolution legitimierte „Rat der Volksbeauftragen“ daher am 23. Dezember 1918 eine "Verordnung über Tarifverträge, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse und Schlichtung von Arbeitsstreitigkeiten".
Mit dieser Verordnung wurde das Recht, Arbeiter- und Angestelltenausschüsse in geheimer Wahl zu bestimmen, auf alle Betriebe mit mehr als 20 Mitarbeiter*innen ausgedehnt. Die Schlichtungsausschüsse bestanden fort, wobei der Vorsitz des Gremiums durch die vorgesetzte Landeszentralbehörde bestimmt wurde. Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter wurden zukünftig auf Basis einer Vorschlagliste der entsprechenden Verbände, also von den Arbeitgeberverbänden oder Gewerkschaften, ernannt. Die Bedeutung der Schlichtungsgremien erschließt sich aus heutiger Sicht nur, wenn man weiß, dass die Arbeitsgerichtsbarkeit erst 1926 als eigenständiger Zweig der Rechtspflege durch ein Reichsgesetz errichtet wurde. In vielen Bereichen hatten die Schlichtungsgremien also Funktionen, die heute durch die Arbeitsgerichtsbarkeit wahrgenommen werden.

Revolutionäre Umbrüche und betriebliche Mitbestimmung

Durch Kriegsende und Revolution war das Thema Mitbestimmung aber in schweres Fahrwasser geraten.
Am 24. Oktober 1918 wollte die deutsche Seekriegsleitung die deutsche Hochseeflotte in ein letztes und sinnloses Gefecht gegen die britische Royal Navy führen. Ziel war die „Rettung“ eines militärisch-aristokratischen Ehrbegriffs, realiter handelte es sich aber um einen befohlenen kollektiven Massen(selbst)mord. Dieser Befehl war der Ursprung des Kieler Matrosenaufstands, der am 11. November 1918 zur Proklamierung der Republik und zur Absetzung aller regierenden Fürstenhäuser Deutschlands führte.
Grundsätzlich kann die Revolution vom 11. November 1918 auch als der Abschluss eines sich aufschaukelnden Prozesses der Delegitimierung der kaiserlichen Herrschaft beschrieben werden. Hunger und Schwarzmarkt, hohe Kriegsgewinne in der Industrie bei zunehmender Verarmung breitester Bevölkerungsschichten, die gesellschaftlichen Gegensätze spitzten sich zu. Im Oktober 1918 zerbrach die letzte Klammer, die das kaiserliche System noch zusammenhielt. Der von der Obersten Heeresleitung (OHL) immer behauptete nahe Endsieg erwies sich, nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten, im Herbst 1918 als akut drohende Niederlage. Daher forderte eben diese OHL ultimativ einen Waffenstillstand, da andernfalls ein alliierter Durchbruch im Westen und ein Einmarsch alliierter Truppen im Reich aus Sicht der OHL als unvermeidlich galt. Die Monarchie und damit der gesamte Staat lagen am Boden.
„Die Kronen rollen auf das Pflaster!“, stellte der Vorsitzende der Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) Hugo Haase wenige Tage vor dem revolutionären Umsturz, am 23. Oktober 1918, im Reichstag fest. Diese Selbstauflösung des Staates machte die Ausrufung der Republik im Grunde zwingend, da nur ein existierender deutscher Staat Friedensverhandlungen führen und den Weg von einer Kriegs- zu einer Friedensordnung ebnen konnte.
Nun ist die Ausrufung einer Republik jedoch einfacher als die materielle Begründung derselben. Grundsätzlich gab es einen breiten Konsens für eine parlamentarische Regierungsform bei gleichem und geheimem Wahlrecht für Männer und Frauen. Offen war in den, dem 11. November folgenden Wochen die Frage, wie Staat, Gesellschaft und Wirtschaft demokratisiert werden könnten, welche Herrschaftsstrukturen in welcher Form zu reformieren wären, um der neuen parlamentarischen Demokratie eine stabile Grundlage zu verschaffen.
So gab es etwa aus der Arbeiterbewegung heraus klare Erwartungen, dass die Wirtschaft sozialisiert werden müsste und dass hierfür Arbeiterräte umfassende innerbetriebliche Mitentscheidungsrechte, zumindest aber Kontrollrechte auf der Ebene der Geschäftsführung erhalten müssten. Demgegenüber formulierten die Arbeitgeber schon frühzeitig wieder ihren Anspruch, ihre Unternehmen in eigener Verantwortung und ohne Einmischung von Arbeiterräten / Betriebsräten führen zu können.
Am 19. Januar 1919 wurde die verfassungsgebende Nationalversammlung gewählt, am 11. Februar trat das Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt in Kraft und die Nationalversammlung wählte den Sozialdemokraten Friedrich Ebert zum vorläufigen Reichspräsidenten. Ebert ernannte das aus SPD, Deutscher Demokratischer Partei (DDP) und katholischem Zentrum bestehende Kabinett Scheidemann. Der langjährige Gewerkschafter Gustav Bauer, der für die SPD seit 1912 im Reichstag saß und im letzten kaiserlichen Kabinett unter Reichskanzlers Max v. Baden seit Oktober 1918 als Staatssekretär das Reichsarbeitsministerium leitete, wurde Reichsarbeitsminister. Er hatte den klaren Arbeitsauftrag, die betriebliche Mitbestimmung der Arbeiter*innen und Angestellten auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen.
Bereits im August 1919 veröffentlichte das Reichsarbeitsministerium einen ersten Entwurf, der Grundlage einer breiten und öffentlichen Diskussion wurde. Der Entwurf orientierte sich stark an der Verordnung vom 23. Dezember 1918. Eine entscheidende Veränderung machte sich am Begriff des Arbeitnehmers fest, denn die bisher getrennten Ausschüsse für Angestellte und Arbeiter sollten zugunsten eines alle Arbeitnehmer*innen umfassenden Betriebsrats abgelöst werden. Auch die Aufgaben wurden umfassender beschrieben und erinnern schon stark an den Aufgabenkatalog des heutigen Betriebsverfassungsgesetzes:
• Überwachung von Tarifverträgen und Arbeitsschutzgesetzen
• Mitbestimmung bei der Erstellung einer Arbeitsordnung und Kollektivregelungen der Arbeitsverhältnisse
• Sprechstunden im Betrieb, aber Betriebsratssitzungen vorzugsweise außerhalb der Arbeitszeit, ebenso wie Betriebsversammlungen
• Mitverwaltung von Wohlfahrtseinrichtungen
• Mitbestimmungsrecht bei Einstellungen und Entlassungen
• Bei Unternehmen mit Aufsichtsräten entsendet der Betriebsrat 1 bis 2 seiner Mitglieder in den Aufsichtsrat
• Informationsrechte in Bezug auf alle die Arbeitnehmer betreffenden Betriebsvorgänge, Einsicht in die Lohnbücher, Informationen über die Leistung des Betriebes und den zu erwartenden Arbeitsbedarf und soweit eine Bilanz erstellt wird: Einsicht in die Bilanz.
Ohne nun die gesamte Debatte der folgenden Monate nachzeichnen zu wollen, lassen sich die Konfliktlinien leicht zusammenfassen.
Das Arbeitgeberlager erklärte grundsätzlich mit einem Mitspracherecht der Arbeitnehmer einverstanden zu sein, das „Aber“ jedoch klang eher wie eine grundsätzliche Ablehnung: das gesamte Gesetz gehe zu weit. Insbesondere die Mitbestimmungsrechte bei Einstellungen und Entlassungen und die Einsichts- und Informationsrechte wurden als massive Eingriffe in die unternehmerische Handlungsfreiheit betrachtet und abgelehnt.
Der liberale preußische Handelsminister Otto Fischbeck (DDP) erklärte in der Kabinettssitzung der Reichsregierung, der
„Entwurf bedeute den organisierten Bolschewismus“ (05.08.2019).
Am 23. Dezember 1919 fragte der Arbeitgeberverband mit einem Rundschreiben bei seinen Mitgliedsunternehmen ab, ob diese bereit seien, "als äußerstes Verteidigungsmittel" zur Verhinderung des gesamten Gesetzes "eine einheitliche Stillegung" aller Betriebe durchzuführen. Ein Ergebnis der Umfrage wurde nicht veröffentlicht. Die Umfrage belegt aber, dass die Arbeitgeber in weiten Teilen der Idee von Betriebsräten ablehnend gegenüberstanden.
Entsprechend klang dann auch die Erklärung, die der Reichsverband der deutschen Industrie kurz vor den Beratungen in der Nationalversammlung im Januar 1920 veröffentlichte.
"Bei der Verpflanzung des Rätegedankens in die Betreibe handelt es sich nicht um Verständigung sondern um Kampf. Der Rätegedanke ist der Machtgedanke. Seine Anhänger wollen auch im einzelnen Betriebe das Mitbestimmungsrecht, das Kontrollrecht, das Verfügungsrecht, schließlich die Leitung und das Eigentum in die Hand nehmen. Der Weg dazu führt über die Aufsichtsräte, über die Bücherkontrolle, über das Hineinreden in alle Einzelheiten des Betriebes. (…) (Der Rätegedanke) will die Betriebsräte zu Stoßtrupps einer ungestümen Sozialisierung machen (…)." (Vossische Zeitung v. 12.01.1920)
Echte Zustimmung klingt dann doch etwas anders.
Von Seiten der konservativen Interessenvertretungen der Angestellten und der diesen nahestehenden Parteien wurde die „Abschaffung“ eigenständiger Angestelltenvertretungen kritisiert, da dies einer „Gleichmacherei“ gleichkomme und aufgrund der geringen Zahl von Angestellten in großen industriellen Unternehmen, die Wahrnehmung ihrer besonderen Interessen in einem einheitlichen Betriebsrat nicht gewährleistet wäre.
Vom linken Flügel der Arbeiterbewegung dagegen, im Reichstag durch die USPD vertreten, wurde frühzeitig auf den begrenzten Handlungsrahmen, den das Gesetz den Betriebsräten eröffnete, hingewiesen:
„Entscheidend für die Beurteilung des Gesetzentwurfes aber bleibt der dort aufgezeichnete Aufgabenkreis, der eine wirkliche Betriebsdemokratie durchaus vermissen läßt und die Alleinherrschaft des kapitalistischen Unternehmertums keineswegs erschüttert. (…) Die Forderung nach dem vollen Mitbestimmungsrecht in allen Fragen der Arbeits- und Lohnverhältnisse bleibt jedoch in der Vorlage unerfüllt.“ (Die Freiheit, Nr. 382 v. 12.08.1919)
Die freien Gewerkschaften, waren lange Jahre gegenüber betrieblicher Arbeiterausschüssen skeptisch eingestellt gewesen, denn in Betriebsräten witterten sie „Syndikalismus“, also eine Form des auf den Betrieb bezogenen Egoismus, der dem Gesamtinteresse aller gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer schaden würde. Im April 1919 positionierten sich die freien Gewerkschaften nun jedoch neu:
„Innerhalb der Betriebe sind freigewählte Arbeitervertretungen (Betriebsräte) zu schaffen, die, im Einvernehmen mit den Gewerkschaften und auf deren Macht gestützt, in Gemeinschaft mit der Betriebsleitung die Betriebsdemokratie durchzuführen haben. Die Grundlage der Betriebsdemokratie ist der kollektive Arbeitsvertrag mit gesetzlicher Rechtsgültigkeit. Die Aufgaben der Betriebsräte im einzelnen, ihre Pflichten und Rechte sind in den Kollektivverträgen auf Grund gesetzlicher Mindestbestimmungen festzulegen.“ (Richtlinien für die künftige Wirksamkeit der Gewerkschaften, v. 25.04.1919)
Der Gesetzesentwurf entsprach, nachdem es einen von den Gewerkschaften gewünschten Tarifvertragsvorbehalt für weitergehende Bestimmungen gab, der gewerkschaftlichen Anforderung nach gesetzliche Mindestbestimmungen. Die Mehrheitssozialdemokraten (SPD) folgten dieser Linie, wenn sie erkärten,
"dass im Betriebsrätegesetz die Grundgedanken jener Forderungen ihre Verwirklichung finden sollen, die von den Gewerkschaften schon immer umkämpft worden sind: Mitbestimmung am Arbeitslohn, Arbeitsleistung und Arbeitsbedingungen." (Vorwärts v. 22.09.1919)
In weiteren Verhandlungen gelang es den Vertretern der DDP, die sich insbesondere den Angestellten verbunden fühlten, die getrennte Vertretung von Arbeitern und Angestellten wieder in das Gesetz zurück zu befördern. In getrennten Gremien sollten nun alle nur die jeweilige Gruppe betreffenden Belange getrennt behandelt werden. Bei allen, die gesamte Belegschaft betreffenden Themen, sollten sich die Gremien zum Betriebsrat vereinigen.
In dieser Form ging der Gesetzesentwurf am 12. Januar 1920 in die parlamentarische Beratung.
Doch die erste Lesung des Gesetzes wurde von einer Massendemonstration mit weit über 100.000 Teilnehmer*innen vor dem Reichstag begleitet. Zu der Demonstration war von Organisationen der Arbeiterbewegung, die weitergehende revolutionäre Veränderungen forderten (USPD, KPD und den „Revolutionären Obleuten“, einer in Berlin starken Organisation von betrieblichen Vertrauensleuten), aufgerufen worden.
„Arbeiter! Arbeiterinnen! Angestellte!
Die Nationalversammlung (…) hat den Auftrag das Betriebsrätegesetz durchzupeitschen. In diesem Gesetz paart sich Verlogenheit mit Niedertracht. Wirtschaftliche Demokratie behauptet man Euch geben zu wollen. In Wirklichkeit will man Euch wieder fest an das kapitalistische Joch schmieden, will man die Betriebsräte zu Mamelucken des Unternehmertums machen. (…) Beweist der Regierung und der herrschenden Gesellschaft, daß Ihr Euch die letzten Errungenschaften der Revolution, die revolutionären Betriebsräte nicht rauben lassen wollt.“ (Freiheit, Nr. 22 v. 13.01.1920)
Der Reichstag wurde an diesem Tag von der sogenannten Sicherheitswehr, eine besondere Polizeieinheit, bewacht. Diese wurde von republikfeindlichen ehemaligen Offizieren verschiedener Freikorps geführt. Nicht wenige der Offiziere machten später in SA und SS Karriere. In einer nachträglich kaum mehr zu rekonstruierenden Situation eröffnete die Sicherheitswehr mit Gewehren und Maschinengewehren das Feuer auf die Demonstration. 42 Tote und 105 Verletzte standen am Ende des Tages auf der Opferliste.
Die erste Lesung des Gesetzes wurde daraufhin unterbrochen aber am Folgetag fortgesetzt. Inhaltlich wurde den bereits im Vorfeld genannten Kritikpunkten nur wenig hinzugefügt. Das unveränderte Gesetz wurde mit den Stimmen von SPD, DDP und Zentrum angenommen und am 4. Februar 1920 verkündet.
Grundsätzlich folgte das Betriebsrätegesetz der Logik einer durch den Betriebsrat erfolgenden Wahrnehmung der Arbeitnehmerinteressen, wobei dem Betriebsrat eine "doppelte Loyalität" eingeschrieben wurde, war es doch Teil seiner Aufgaben, mit der Unterstützung der Unternehmensleitung zu einer „Erfüllung der Betriebszwecke“ beizutragen. Das Gesetz schuf damit einen Rahmen für eine klassenübergreifende Zusammenarbeit auf Unternehmensebene.

Vom Betriebsräte- zum Betriebsverfassunggesetz

Für eine von tiefen Klassenspaltungen durchzogenen Gesellschaft wie die der Weimarer Republik kam dieses Gesetz im Grunde aber zu früh. Die Arbeitgeber lehnten die Betriebsräte ebenso ab wie das gesamte Weimarer System, die Gewerkschaften hielten die überbetriebliche Sozial- und Interessenpolitik mittels der eingeübten Tarifpolitik für zentraler als die Betriebsräte, die oft nur als Erfüllungsgehilfen gewerkschaftlicher Politik verstanden wurden. Und von links wurden die Betriebsräte als Bestandteile einer wirtschaftsfriedlichen “Werksgemeinschaft“ diskreditiert.
Die NS-Diktatur beendete dann alle Formen der Mitbestimmung von Arbeitnehmer*innen. Das Betriebsrätegesetz wurde am 20 Januar 1934 aufgehoben und durch das „Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit“ ersetzt. Nun galt auch in der Betriebsverfassung das Führerprinzip.
Auf das Betriebsrätegesetz wurde erst nach der Zerschlagung der NS-Diktatur und der Gründung des DGB als überparteiliche und überkonfessionelle Gewerkschaftsbewegung zurückgegriffen. Es war dem gestärkten Einfluss der christlichen Gewerkschaftsbewegung im entstehenden DGB zu verdanken, dass die paritätische Mitbestimmung im Unternehmen als gewerkschaftliches Ziel ein deutlich höheres Gewicht bekam als zuvor. Gewerkschaftsseitig war damit der Boden bereitet für das Modell der 1946/47 in der britischen Zone eingeführten paritätischen Montanmitbestimmung, also der vollen Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit in den Aufsichtsräten. Die paritätische Mitbestimmung wurde 1951 in einem harten Konflikt von den Gewerkschaften verteidigt und auf die gesamte Montanindustrie ausgeweitet.
Doch bereits 1952, also nur ein Jahr später, hatten sich die Machtverhältnisse spürbar verschoben, eine Ausweitung der Montanmitbestimmung auf alle Unternehmen scheiterte an der CDU-Bundesregierung und den Unternehmerverbänden. Das 1952 verabschiedete Betriebsverfassungsgesetz orientierte sich wieder stärker am Betriebsrätegesetz der Weimarer Republik mit seinen gegenüber der Montanmitbestimmung eingeschränkteren Mitbestimmungsrechten, wobei aber die Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten in Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten (drittelparitätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat) gegenüber dem Betriebsrätegesetz von 1920 eine deutliche Ausweitung der Mitbestimmungsrechte bedeutete.
Umfangreichere Mitbestimmungsregeln, wie sie in der Montanmitbestimmung 1946/47 unter britischer Besatzungsherrschaft vereinbart wurden, waren ein Vierteljahrhundert früher weder parlamentarisch durchsetzbar noch dem Arbeitgeberlager vermittelbar. Ein Betriebsrätegesetz jedoch, dass entsprechend umfangreichere Mitbestimmungsregeln enthalten hätte, wäre von den Arbeiter*innen deutlich besser angenommen worden, nachdem sich viel Kritik an der fehlenden (formalen) Gleichberechtigung von Kapital und Arbeit entzündete. Die USPD-nahe Arbeitsgemeinschaft freier Angestelltenverbände hatte diese Erwartungen im Sommer 1919 sehr prägnant formuliert:
„Der Betriebsrat steht als die Interessenvertretung der einen Vertragspartei im Arbeitsvertrage grundsätzlich neben der Betriebsleitung. Er hat insbesondere die gesamte Leitung des Betriebes zu überwachen (…).“ (Freiheit, Nr. 418 v. 31.08.1919)
Dieser Zustand ist auch mit dem aktuell geltenden Betriebsverfassungsgesetz nicht.