Thema: Aus fremden Federn
18. November 16 | Autor: antoine favier | 0 Kommentare | Kommentieren
Wer heute über den Rechtspopulismus Gedanken macht, der sollte den Blick auch nach Frankreich wenden.
Die französische Gesellschaft hat mit dem Front National langjährige Erfahrungen mit einer rechtspopulistische Partei. Vieles, was uns mit dem Aufkommen der AFD als neu erscheint, kennt Frankreich schon seit Jahren.
Selbst der Wahlerfolg eines Donald Trump lässt sich einfacher erklären, wenn man die französische Entwicklung als europäischen Erfahrungshorizont mitdenkt.
Der französische Soziologe Didier Eribond hat 2009 eine autobiographische Annäherung an seine eigene Kindheit in Reims geschrieben. Er, der in Reims als Kind einer Arbeiterfamilie großgeworden ist, reflektiert dabei nicht nur seinen Aufstieg aus diesem proletarischen Milieu in die Welt der Pariser Intellektuellen.
Er beschreibt auch, wie dieses proletarische Milieu an seinen eigenen politischen Vertretern irre wurde und sich dem Front National zugewandt hat.
Hier werden zwei längere Passagen zitiert, die erklären, wie der Rechtspopulismus, diese bürgerliche Formation der rassistischen Rechten, auch zur Partei der Arbeiter werden konnte.
Zugleich ist dies damit auch eine Leseempfehlung, da dieses Buch seit diesem Jahr auch in deutscher Sprache vorliegt:
Didier Eribond
Eine Reise nach Reims,
Suhrkamp, Berlin 2016
Die französische Gesellschaft hat mit dem Front National langjährige Erfahrungen mit einer rechtspopulistische Partei. Vieles, was uns mit dem Aufkommen der AFD als neu erscheint, kennt Frankreich schon seit Jahren.
Selbst der Wahlerfolg eines Donald Trump lässt sich einfacher erklären, wenn man die französische Entwicklung als europäischen Erfahrungshorizont mitdenkt.
Der französische Soziologe Didier Eribond hat 2009 eine autobiographische Annäherung an seine eigene Kindheit in Reims geschrieben. Er, der in Reims als Kind einer Arbeiterfamilie großgeworden ist, reflektiert dabei nicht nur seinen Aufstieg aus diesem proletarischen Milieu in die Welt der Pariser Intellektuellen.
Er beschreibt auch, wie dieses proletarische Milieu an seinen eigenen politischen Vertretern irre wurde und sich dem Front National zugewandt hat.
Hier werden zwei längere Passagen zitiert, die erklären, wie der Rechtspopulismus, diese bürgerliche Formation der rassistischen Rechten, auch zur Partei der Arbeiter werden konnte.
Zugleich ist dies damit auch eine Leseempfehlung, da dieses Buch seit diesem Jahr auch in deutscher Sprache vorliegt:
Didier Eribond
Eine Reise nach Reims,
Suhrkamp, Berlin 2016
Wenn ich meine Mutter heute vor mir sehe mit ihrem geschundenen, schmerzenden Körper, der fünfzehn Jahre lang unter härtesten Bedingungen gearbeitet hat – am Fließband stehen, Deckel auf Einmachgläser schrauben, sich morgens und nachmittags höchstens zehn Minuten von jemandem vertreten lassen, um auf die Toilette gehen zu können -, dann überwältigt mich die konkrete physische Bedeutung des Wortes „soziale Ungleichheit“. Das Wort „Ungleichheit“ ist eigentlich ein Euphemismus, in Wahrheit haben wir es mit nackter, ausbeuterischer Gewalt zu tun.(S. 78 / 79)
Der Körper einer alternden Arbeiterin führt allen die Wahrheit über die Klassengesellschaft vor Augen. Man kann sich kaum vorstellen, wie hart der Arbeitsrhythmus in diesem Werk (und in allen anderen Fabriken) war. Ein Vorarbeiter hatte eines Tages ein paar Minuten die Leistung einer Arbeiterin gemessen und so die Mindestzahl der Gläser bestimmt, die es „zu machen“ galt. Schon das klingt extrem, ja inhuman. Doch weil ein Großteil des Lohns aus Prämien bestand, brachten meine Mutter und ihre Kollegen es fertig, das Doppelte der geforderten Menge zu produzieren. Abends kam sie ausgelaugt nach Hause, „ausgewrungen“, wie sie selber sagte, aber froh, wieder einen Tag hinter sich gebracht und genug verdient zu haben, um uns ein anständiges Leben zu ermöglichen. Es ist mir völlig unbegreiflich, wie die extreme Härte solcher Arbeitsformen und der Protest gegen sie („Nieder mit dem höllischen Akkord!“) aus den Vorstellungen der Linken verschwinden konnten, obwohl gerade hier die konkrete Existenz der Menschen – ihre Gesundheit zum Beispiel – auf dem Spiel steht.
Man fühlte sich von den Gewählten vernachlässigt oder gar verraten. „Die Politiker sind alle gleich. Ob links oder rechts, die Rechnung zahlen immer dieselben“ – solche Sätze begann man damals zu hören (…). Die sozialistische Linke unterzog sich einer radikalen, von Jahr zu Jahr deutlicher werdenden Verwandlung und ließ sich mit fragwürdiger Begeisterung auf neokonservative Intellektuelle ein, die sich unter dem Vorwand der geistigen Erneuerung daran machten, den Wesenskern der Linken zu entleeren. Es kam zu einer regelrechten Metamorphose des Ethos und der intellektuellen Koordinaten. Nicht mehr von Ausbeutung und Widerstand war die Rede, sondern von „notwendiger Reformen“ und einer „Umgestaltung“ der Gesellschaft. Nicht mehr von „Klassenverhältnissen oder sozialem Schicksal, sondern von „Zusammenleben“ und „Eigenverantwortung“. Die Idee der Unterdrückung, einer strukturierenden Polarität zwischen Herrschenden und Beherrschten, verschwand aus dem Diskurs der offiziellen Linken und wurde durch die neutralisierende Vorstellung des „Gesellschaftsvertrags“ ersetzt, in dessen Rahmen „gleichberechtigte“ Individuen (gleich? Was für ein obszöner Witz) auf die Artikulation von Partikularinteressen zu verzichten (das heißt zu schweigen und sich von den Regierenden nach deren Gusto regieren zu lassen) hätten. Welche ideologischen Ziele verfolgte diese diffuse „politische Philosophie“, die links wie rechts, an beiden Enden des medialen und politischen Spektrums, gefeiert wurde? (Praktischerweise erklärten ihre Verfechter die Grenzen zwischen rechts und links für aufgehoben und drängten so die Linke, mit deren Einverständnis, nach rechts.) Die Absichten wurden kaum verschleiert: Das Beschwören des „autonomen Subjekts“ und die damit einhergehende Verabschiedung aller Überlegungen, die von der determinierenden Kraft historischer und sozialer Gegebenheiten ausgehen, zielten darauf, die Idee, es gäbe so etwas wie soziale Gruppen („Klassen“), ein für alle Mal zu entsorgen. Im Namen einer vermeintlich notwendigen „Individualisierung“ (oder Entkollektivierung, Entsozialisierung), die das Arbeitsrecht, die sozialen Sicherungssysteme und allgemeiner die Mechanismen der gesellschaftlichen Solidarität und Umverteilung betraf, wurde im gleichen Zug der Rückbau des Wohlfahrtsstaats legitimiert. Ein Gutteil der Linken schrieb sich nun plötzlich das alte Projekt des Sozialabbaus auf die Fahnen, das zuvor ausschließlich von rechten Parteien vertreten und zwanghaft wiederholt worden war (…). Man könnte es auch so zusammenfassen: Die linken Parteien mit ihren Partei- und Staatsintellektuellen dachten und sprachen fortan nicht mehr die Sprache der Regierten, sondern jene der Regierenden, sie sprachen nicht mehr im Namen von und gemeinsam mit den Regierten, sondern mit und für die Regierenden, sie nahmen gegenüber der Welt nunmehr einen Regierungsstandpunkt ein und wiesen den Standpunkt der Regierten verächtlich von sich, und zwar mit einer verbalen Gewalt, die von den Betroffenen durchaus als solche erkannt wurde.(S. 122-125)
(…) Wenn man „Klassen“ und Klassenverhältnisse einfach aus den Kategorien des Denkens und Begreifens und damit aus dem politischen Diskurs entfernt, verhindert man aber noch lange nicht, dass sich all jene kollektiv im Stich gelassen fühlen, die mit den Verhältnissen hinter diesen Wörtern objektiv zu tun haben. Von den Verfechtern des „Zusammenhalts“, der „notwendigen“ Deregulierung und des „notwendigen“ Rückbaus sozialer Sicherungssysteme fühlten sie sich nicht länger repräsentiert. Das war der Grund, weshalb sich im Rahmen einer wie von selbst ablaufenden Neuverteilung der politischen Karten große Teile der Unterprivilegierten jener Partei zuwandten, die sich nunmehr als einzige um sie zu kümmern schien und die zumindest einen Diskurs anbot, der versuchte, ihrer Lebensrealität wieder einen Sinn zu verleihen.
(…) Mit der Wahl der Kommunisten versicherte man sich stolz seiner Klassenidentität, man stellte diese Klassenidentität durch die politische Unterstützungsgeste für die „Arbeiterpartei“ gewissermaßen erst richtig her. Mit der Wahl des Front National verteidigte man hingegen still und leise, was von dieser Identität noch geblieben war und welche die Machtpolitiker und institutionellen Linken (…) ignorierten oder sogar verachteten.
(…) So widersprüchlich es klingen mag ich bin mir doch sicher, dass man die Zustimmung zum Front National zumindest teilweise als eine Art Notwehr der unteren Schichten interpretieren muss. Sie versuchten, ihre kollektive Identität zu verteidigen oder jedenfalls eine Würde, die seit je mit Füßen getreten worden ist und nun sogar von denen missachtet wurde, die sie zuvor repräsentiert und verteidigt hatten. Würde, dieses zerbrechliche und sich selbst nicht sichere Gefühl. Sie verlangt nach Gesten der Bestätigung. Entwürdigt fühlen sich die Menschen vor allem dann, wenn sie sich als quantité négligeable, als bloßes Element politischer Buchführung und damit als ein stummer Gegenstand politischer Verfügungen vorkommen. Wenn die, denen man sein Vertrauen einmal gegeben hat, dieses nicht mehr verdienen, überträgt man es eben anderen. Man wendet sich, und sei es temporär oder in punktuellen Fragen, neuen Repräsentanten zu. Wessen Fehler ist es also, wenn die scheinbar letzte politische Rettung ein solches Gesicht trägt? Wenn die überlebende oder wiederhergestellte Bedeutung des „Wir“ sich dermaßen gewandelt hat, dass sich nun nicht länger die „Arbeiter“ den „Bourgeois“ gegenüberstehen, sondern die „Franzosen“ den „Ausländern“? Oder genauer: Wenn der Gegensatz zwischen „uns hier unten“ und „denen da oben“ in den sich der zwischen Arbeitern und Bourgeois verwandelt hat (was schon nicht mehr dasselbe ist und jeweils unterschiedliche politische Schlussfolgerungen impliziert), plötzlich eine nationale und ethnische Komponente bekommt, weil „die da oben“ als Befürworter einer Immigration wahrgenommen werden, deren Folgen „die da unten“ angeblich jeden Tag zu ertragen haben, eine Einwanderung, die plötzlich für alle möglichen Übel verantwortlich gemacht wird?
Thema: Aus fremden Federn
18. September 15 | Autor: antoine favier | 0 Kommentare | Kommentieren
von Ottmar Edenhofer
Kohle erlebt eine Renaissance - dank enorm hoher Subventionen. Das schadet dem Klima und den Menschen, kommentiert Ottmar Edenhofer vom Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change. Denn das Geld ließe sich besser nutzen.
Weniger als drei Monate vor Beginn der Weltklimakonferenz in Paris haben inzwischen Dutzende Staaten ihre nationalen Klimaschutzziele vorgelegt – darunter auch China und die USA. So manch einer wähnt bereits eine Wende für den weltweiten Klimaschutz zum Greifen nahe. Doch bislang sieht es nicht so aus, als ob das, was jetzt an Zugeständnissen der Staaten auf dem Tisch liegt, ausreichen würde, um die Erwärmung der globalen Mitteltemperatur auf nicht mehr als zwei Grad Celsius zu begrenzen.
Denn selbst wenn der politische Wille zum Klimaschutz in den kommenden Wochen noch deutlicher artikuliert wird – die Fakten sprechen derzeit leider eine andere Sprache: Wir erleben eine Renaissance der Kohle. Vor allem arme, aber schnell wachsende Entwicklungsländer investieren gerade massiv in den Bau neuer Kohlekraftwerke. Sie begeben sich damit auf eine Pfadabhängigkeit, die dem Weltklima noch über Jahrzehnte schwer zu schaffen machen wird. Konkret heißt das: Wenn nur ein Drittel der weltweiten Planungen von Kohlekraftwerken Realität wird, wäre das globale Kohlenstoffbudget zum Erreichen des Zwei-Grad-Ziels bereits nahezu aufgebraucht.
Denn insgesamt kann die Atmosphäre nur zirka 1000 Gigatonnen CO2 aufnehmen, wenn wir das Zwei-Grad-Ziel mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichen wollen. Es lagern dagegen noch rund 15 000 Gigatonnen an CO2 in Form von fossilen Brennstoffen in der Erde. Mindestens 40 Prozent des Öls, 40 Prozent des Gases und vor allem 80 Prozent der andernfalls genutzten Kohle müssen also im Boden bleiben.
Weltweit subventionieren die Staaten Öl, Gas und Kohle mit 150 US-Dollar je Tonne CO2 – wenn man alle sozialen Kosten mit einrechnet
Danach sieht es momentan allerdings nicht aus – denn Kohle ist weltweit als Energielieferant spottbillig. Es gibt große Vorkommen, und der Kohlepreis ist relativ zu Erdgas oder erneuerbaren Energien sehr niedrig. Und vor allem: Weltweit subventionieren die Staaten den Einsatz von Öl, Gas und Kohle mit 150 US-Dollar je Tonne CO2, wenn man alle sozialen Kosten – beispielsweise Gesundheitsschäden – mit einrechnet.
Einer der wichtigsten Hebel für die internationale Klimapolitik ist daher die CO2-Bepreisung. Energie aus Kohle, Öl und Gas muss wesentlich teurer werden. In einem ersten Schritt wäre schon viel gewonnen, wenn zumindest die hohen Kohlesubventionen abgebaut würden. Am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) konnten wir zeigen, dass das allein schon ausreichen würde, um in den nächsten 15 Jahren in 70 Staaten der Welt den Menschen universellen Zugang zu Trinkwasser, in 60 zu funktionierenden Sanitäranlagen und in 50 zu Elektrizität zu ermöglichen. Wenn die Kohlesubventionen stattdessen in den Aufbau dieser Infrastrukturen gesteckt würden, wäre das ein hervorragendes Programm zur Armutsbekämpfung.
Auch die Industriestaaten würden von einer CO2-Bepreisung profitieren. Hier sind es vor allem die Finanzminister, die ein Interesse daran haben müssten – selbst wenn sich ihr Herz sonst nicht für die Klimapolitik erwärmt. Schließlich ist die CO2-Bepreisung eine äußerst effiziente Quelle zur Finanzierung von Staatshaushalten, ähnlich wie die Öko-Steuer zur Senkung der Lohnnebenkosten eingesetzt wird. Durch sie ließen sich beispielsweise Mittel für eine bessere Gesundheitsversorgung, die Stärkung des Bildungssektors oder die Verbesserung des öffentlichen Verkehrssystems bereitstellen. Wenn die Einnahmen in solche wirtschaftsfördernde Infrastrukturen fließen würden, könnten Unternehmen in solchen Ländern sogar langfristige Standortvorteile erwachsen.
Auf dem Weg zu einer globalen CO2-Bepreisung gilt es, zunächst zwei wesentliche Hürden zu nehmen. Erstens wäre es ein gutes politisches Signal, wenn über den Green Climate Fund Entwicklungsländer dafür bezahlt würden, dass sie einen weltweiten CO2-Preis akzeptieren. Mit diesem Geld könnten sie in die Technologieentwicklung und in ihre Wettbewerbsfähigkeit investieren. Zweitens wäre es wichtig, dass die Europäische Union mit gutem Beispiel vorangeht und das Europäische Emissionshandelssystem ETS reformiert. Hier brauchen wir vor allem einen stetig steigenden Mindestpreis. Auch eine sektorale Erweiterung des ETS auf den Transport- und Gebäudesektor könnte helfen, das System wieder flott zu machen.
Um langfristig zu einem globalen Klimaregime mit ambitionierten Stabilisierungszielen zu gelangen, sollten einzelne Staatengruppen mit einer CO2-Bepreisung als Vorreiter aktiv werden. Denn der Nutzen von Klimapolitik offenbart sich erst sehr spät. Wer jetzt aber Kohle teurer macht, der kann davon schon relativ schnell profitieren.
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer ist Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) sowie Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Lehrstuhlinhaber für die Ökonomie des Klimawandels an der Technischen Universität Berlin.
© Spektrum.de
Quelle
Kohle erlebt eine Renaissance - dank enorm hoher Subventionen. Das schadet dem Klima und den Menschen, kommentiert Ottmar Edenhofer vom Berliner Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change. Denn das Geld ließe sich besser nutzen.
Weniger als drei Monate vor Beginn der Weltklimakonferenz in Paris haben inzwischen Dutzende Staaten ihre nationalen Klimaschutzziele vorgelegt – darunter auch China und die USA. So manch einer wähnt bereits eine Wende für den weltweiten Klimaschutz zum Greifen nahe. Doch bislang sieht es nicht so aus, als ob das, was jetzt an Zugeständnissen der Staaten auf dem Tisch liegt, ausreichen würde, um die Erwärmung der globalen Mitteltemperatur auf nicht mehr als zwei Grad Celsius zu begrenzen.
Denn selbst wenn der politische Wille zum Klimaschutz in den kommenden Wochen noch deutlicher artikuliert wird – die Fakten sprechen derzeit leider eine andere Sprache: Wir erleben eine Renaissance der Kohle. Vor allem arme, aber schnell wachsende Entwicklungsländer investieren gerade massiv in den Bau neuer Kohlekraftwerke. Sie begeben sich damit auf eine Pfadabhängigkeit, die dem Weltklima noch über Jahrzehnte schwer zu schaffen machen wird. Konkret heißt das: Wenn nur ein Drittel der weltweiten Planungen von Kohlekraftwerken Realität wird, wäre das globale Kohlenstoffbudget zum Erreichen des Zwei-Grad-Ziels bereits nahezu aufgebraucht.
Denn insgesamt kann die Atmosphäre nur zirka 1000 Gigatonnen CO2 aufnehmen, wenn wir das Zwei-Grad-Ziel mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichen wollen. Es lagern dagegen noch rund 15 000 Gigatonnen an CO2 in Form von fossilen Brennstoffen in der Erde. Mindestens 40 Prozent des Öls, 40 Prozent des Gases und vor allem 80 Prozent der andernfalls genutzten Kohle müssen also im Boden bleiben.
Weltweit subventionieren die Staaten Öl, Gas und Kohle mit 150 US-Dollar je Tonne CO2 – wenn man alle sozialen Kosten mit einrechnet
Danach sieht es momentan allerdings nicht aus – denn Kohle ist weltweit als Energielieferant spottbillig. Es gibt große Vorkommen, und der Kohlepreis ist relativ zu Erdgas oder erneuerbaren Energien sehr niedrig. Und vor allem: Weltweit subventionieren die Staaten den Einsatz von Öl, Gas und Kohle mit 150 US-Dollar je Tonne CO2, wenn man alle sozialen Kosten – beispielsweise Gesundheitsschäden – mit einrechnet.
Einer der wichtigsten Hebel für die internationale Klimapolitik ist daher die CO2-Bepreisung. Energie aus Kohle, Öl und Gas muss wesentlich teurer werden. In einem ersten Schritt wäre schon viel gewonnen, wenn zumindest die hohen Kohlesubventionen abgebaut würden. Am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) konnten wir zeigen, dass das allein schon ausreichen würde, um in den nächsten 15 Jahren in 70 Staaten der Welt den Menschen universellen Zugang zu Trinkwasser, in 60 zu funktionierenden Sanitäranlagen und in 50 zu Elektrizität zu ermöglichen. Wenn die Kohlesubventionen stattdessen in den Aufbau dieser Infrastrukturen gesteckt würden, wäre das ein hervorragendes Programm zur Armutsbekämpfung.
Auch die Industriestaaten würden von einer CO2-Bepreisung profitieren. Hier sind es vor allem die Finanzminister, die ein Interesse daran haben müssten – selbst wenn sich ihr Herz sonst nicht für die Klimapolitik erwärmt. Schließlich ist die CO2-Bepreisung eine äußerst effiziente Quelle zur Finanzierung von Staatshaushalten, ähnlich wie die Öko-Steuer zur Senkung der Lohnnebenkosten eingesetzt wird. Durch sie ließen sich beispielsweise Mittel für eine bessere Gesundheitsversorgung, die Stärkung des Bildungssektors oder die Verbesserung des öffentlichen Verkehrssystems bereitstellen. Wenn die Einnahmen in solche wirtschaftsfördernde Infrastrukturen fließen würden, könnten Unternehmen in solchen Ländern sogar langfristige Standortvorteile erwachsen.
Auf dem Weg zu einer globalen CO2-Bepreisung gilt es, zunächst zwei wesentliche Hürden zu nehmen. Erstens wäre es ein gutes politisches Signal, wenn über den Green Climate Fund Entwicklungsländer dafür bezahlt würden, dass sie einen weltweiten CO2-Preis akzeptieren. Mit diesem Geld könnten sie in die Technologieentwicklung und in ihre Wettbewerbsfähigkeit investieren. Zweitens wäre es wichtig, dass die Europäische Union mit gutem Beispiel vorangeht und das Europäische Emissionshandelssystem ETS reformiert. Hier brauchen wir vor allem einen stetig steigenden Mindestpreis. Auch eine sektorale Erweiterung des ETS auf den Transport- und Gebäudesektor könnte helfen, das System wieder flott zu machen.
Um langfristig zu einem globalen Klimaregime mit ambitionierten Stabilisierungszielen zu gelangen, sollten einzelne Staatengruppen mit einer CO2-Bepreisung als Vorreiter aktiv werden. Denn der Nutzen von Klimapolitik offenbart sich erst sehr spät. Wer jetzt aber Kohle teurer macht, der kann davon schon relativ schnell profitieren.
Prof. Dr. Ottmar Edenhofer ist Direktor des Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) sowie Chefökonom am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und Lehrstuhlinhaber für die Ökonomie des Klimawandels an der Technischen Universität Berlin.
© Spektrum.de
Quelle
Thema: Aus fremden Federn
17. August 15 | Autor: antoine favier | 0 Kommentare | Kommentieren
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen findet zivilen Ungehorsam eine gute Sache:
Ein Kommentar von J Jürgen Döschner, WDR, ARD-Energieexperte vom 16.08.2015 direkt mit der Homepage der ARD verlinkt und schön runterkopiert.
Hier im Wortlaut:
Ein Kommentar von J Jürgen Döschner, WDR, ARD-Energieexperte vom 16.08.2015 direkt mit der Homepage der ARD verlinkt und schön runterkopiert.
Hier im Wortlaut:
Hut ab! Die Klima-Aktivisten im rheinischen Braunkohle-Revier verdienen Hochachtung und Respekt! Mit ihren Aktionen an diesem Wochenende sind sie mutig vorweg gegangen, haben symbolisch an einigen Stellen und für einige Stunden die gigantische Braunkohle-Maschinerie zum Stehen gebracht. Sie haben aufmerksam gemacht auf die größte Umweltbedrohung unserer Zeit: die Gefährdung des Weltklimas durch CO2 und die bedeutende Rolle, die die Braunkohle-Verstromung dabei spielt.
Es waren Aktionen des zivilen Ungehorsams: Friedlich, gewaltfrei, aber durchaus verbunden mit Regelüberschreitungen. Auf das abgesperrte Gelände der RWE-Braunkohlegrube zu laufen und sich vor die Bagger zu stellen, dürfte formal vermutlich den Tatbestand des Hausfriedensbruchs erfüllen. Aber dass RWE gemeinsam mit einem massiven Polizeiaufgebot versucht hat, seinen "Hausfrieden" mit Schlagstöcken und Pfefferspray durchzusetzen, dass RWE nun mit Massenklagen gegen rund 800 Aktivisten und Journalisten versucht, diese zu kriminalisieren - das ist nicht nur unangemessen, sondern zutiefst absurd.
Ausgerechnet jener Konzern, der mit seinen Braunkohlebaggern seit Jahrzehnten nicht nur den Frieden einzelner Häuser, sondern ganzer Dörfer und Regionen stört, ja die Häuser sogar zerstört, ausgerechnet dieser RWE-Konzern beklagt sich nun über Hausfriedensbruch, weil einige hundert Demonstranten durch die von RWE-Baggern zerstörten Landschaften wandern.
Rücksichtsloses Vorgehen
Bei seinem rücksichtlosen Vorgehen stützt sich der Konzern nicht nur auf Paragrafen, sondern auch auf seine wirtschaftliche und politische Macht. Regierende in Bund, Land und Kommunen verteidigen die Kohleverstromung, viele Städte und Gemeinden sind direkt an RWE beteiligt. Die Bilder von Polizisten, die in RWE-Geländewagen gemeinsam mit dem betriebseigenen Sicherheitsdienst Jagd auf Demonstranten machen, sprechen für sich.
Das hat die Demonstranten nicht nur wütend gemacht. Es hat sie auch in ihrer Absicht und Entschlossenheit bestärkt. Zu Recht, wie ich finde. Die Proteste im rheinischen Braunkohlerevier mögen nicht immer legal gewesen sein, aber sie sind angesichts der Ignoranz von Geld und Macht und angesichts der Bedrohung, die es abzuwehren gilt, völlig legitim.
Wer den Klimawandel stoppen will, muss den größten Teil der Kohle im Boden lassen. Selbst G7 und US-Präsident Obama haben das inzwischen eingesehen. Die Alternativen zur Kohle sind da, die Energiewende ist Realität. Noch glaubt RWE, diesen Wandel mit Schlagstöcken und Pfefferspray aufhalten zu können. Aber so wie an der Börse wird der Energieriese auch in den Braunkohlegruben früher oder später scheitern. Das Schicksal der Atomkraft sollte RWE zu denken geben.