Thema: Piraten
08. Mai 12 | Autor: antoine favier | 1 Kommentar | Kommentieren
"Liquid Democracy" als Mischform von direkter und repräsentative Demokratie? Einige Überlegungen
Das Modell „Liquid Democracy“ zielt darauf, dass die poltisch interessierte BürgerIn sich zu jeder anstehenden Sachfrage entscheidet:
a.) er/sie nimmt an der Entscheidung nicht teil,
b.) er/sie delegiert die Entscheidung an einen Dritten,
c.) er/sie nimmt an der Entscheidung selber teil.
Das Modell erklärt, dass die Delegierung der Stimme jederzeit wieder zurückgezogen werden kann.
Das erste Problem, das sich daraus ergibt, ist der Tatsache geschuldet, dass wir in einer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft leben und so wie keineR mehr in der Lage ist, alle seine/ihre Bedürfnisse durch der eigenen Hände Arbeit zu befriedigen, so will und kann nicht jedeR bei allen Themen beteiligt werden. Für das Modell der „Liquid Democracy“ gar kein Problem, die Betreffenden nehmen an der Auseinandersetzung nicht teil und bleiben der Debatte und Abstimmung fern bzw. übertragen ihre Rechte auf einen Dritten.
Im Grunde legt das Modell hier bereits die Grundlagen für eine Diktatur der „Wissenden“, denn das Modell bietet sich gerade zu dafür an, dass Spezialisten (echte oder selbsternannte) das ihnen wichtige Thema monopolisieren und mittels Delegation Stimmmehrheiten für ihre Lösung kumulieren. Je abstrakter ein Thema, desto sicherer auch, dass formale Transparenz nicht ausreicht, um solche antidemokratischen Effekte zu vermeiden. Je komplexer ein Thema, je detaillierter und kleinteiliger die zu entscheidenden Maßnahmen, desto weniger Menschen werden sich an solchen Themen beteiligen. „Liquid Democracy“ legt eben nicht den Grundstein zu einer höheren Transparenz und Mitsprache, sondern schafft eine Basis für eine Diktatur der TechnokratInnen. Insbesondere der Wunsch, auch bei solchen Verfahren ein Höchstmaß an Anonymität zu ermöglichen ist die Hintertür zum zukünftigen Missbrauch des Verfahrens. Erinnert sei dabei an die Probleme des Mediums „Wikipedia“, beim dem durch eine anonymisierte Mitarbeit Artikel von Lobbyisten zugunsten von Firmen und Personen verändert wurden und werden. Zwischenzeitlich beherrschen notwendigerweise Wikipediaaufpasser das Feld und entscheiden darüber, welche Texte, welche Interpretation, ja welche Wahrheit in „Wikipedia“ veröffentlicht werden darf. Das ist in der Welt eines Lexikons womöglich angemessen, aber es zeigt bereits auf, wie anfällig dieses Formen der anonymisierten netzbasierten politischen Teilhabe sind.
Zusätzlich ist strukturell erkennbar, welch elitäres Politik- und damit Menschenmodell hier vorherrscht. Die Teilhabe am Piratenmodell erfordert ein hohes Maß an freier verfügbarer Zeit – allein dies wird innerhalb kurzer Zeit zu einer Form der verdeckten Professionalisierung und Majorisierung der Basis führen.
Der hohe Zeitbedarf grenzt aber auch alle aus, die in ihrem alltäglichen Leben aufgrund vorhandener Mehrfachbelastungen über diese Zeitreserven nicht verfügen. Insbesondere Frauen mit Kindern werden strukturell ausgegrenzt, da die internetbasierte Debattenkultur eine Schnelligkeit entwickelt hat, die jeden und jede überfordert, die eben nicht kontinuierlich am Prozess teilnehmen kann.
Die Teilhabe via Technologie grenzt aber auch all diejenigen aus, die entweder über die technischen Möglichkeiten nicht verfügen bzw. Schwierigkeiten mit ihrer Beherrschung haben.
Es grenzt all diejenigen aus, die sich am schriftlichen Diskurs nicht beteiligen können, da sie der deutschen Schriftsprache bspw. nur unzureichend mächtig sind.
Das Modell ist ein in sich Elitäres, da Zeit, technisches Knowhow und sprachliche Fähigkeiten in einem Umfang zur Grundlage der Teilhabe gemacht werden, über den Teile der heisigen Gesellschaft eben nicht verfügen.
Im Grund werden hier die Schwächen der direkten Demokratie mit den Problemen eines technischen Mediums verknüpft. Die technikaffinen Piraten jedoch suchen in erster Linie Lösungen für technische Probleme ohne zu erkennen, dass ihr Modell demokratietheoretische Defizite aufweist, die zu klären sind, bevor man sich der Technologie zuwendet.
„Unter "Liquid Democracy" versteht man eine Mischform zwischen indirekter und direkter Demokratie. Während bei indirekter Demokratie ein Delegierter zur Vertretung der eigenen Interessen bestimmt wird und bei direkter Demokratie alle Interessen selbst wahrgenommen werden müssen, ergibt sich bei Liquid Democracy ein fließender Übergang zwischen direkter und indirekter Demokratie.(Aus: Piratenwiki: Artikel Liquid Democracy)
Jeder Teilnehmer kann selbst entscheiden, wie weit er seine eigenen Interessen wahrnehmen will, oder wie weit er von Anderen vertreten werden möchte. Insbesondere kann der Delegat jederzeit sein dem Delegierten übertragenes Stimmrecht zurückfordern, und muss hierzu nicht bis zu einer neuen Wahlperiode warten. Es ergibt sich somit ein ständig im Fluss befindliches Netzwerk von Delegationen.“
Das Modell „Liquid Democracy“ zielt darauf, dass die poltisch interessierte BürgerIn sich zu jeder anstehenden Sachfrage entscheidet:
a.) er/sie nimmt an der Entscheidung nicht teil,
b.) er/sie delegiert die Entscheidung an einen Dritten,
c.) er/sie nimmt an der Entscheidung selber teil.
Das Modell erklärt, dass die Delegierung der Stimme jederzeit wieder zurückgezogen werden kann.
Das erste Problem, das sich daraus ergibt, ist der Tatsache geschuldet, dass wir in einer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft leben und so wie keineR mehr in der Lage ist, alle seine/ihre Bedürfnisse durch der eigenen Hände Arbeit zu befriedigen, so will und kann nicht jedeR bei allen Themen beteiligt werden. Für das Modell der „Liquid Democracy“ gar kein Problem, die Betreffenden nehmen an der Auseinandersetzung nicht teil und bleiben der Debatte und Abstimmung fern bzw. übertragen ihre Rechte auf einen Dritten.
Im Grunde legt das Modell hier bereits die Grundlagen für eine Diktatur der „Wissenden“, denn das Modell bietet sich gerade zu dafür an, dass Spezialisten (echte oder selbsternannte) das ihnen wichtige Thema monopolisieren und mittels Delegation Stimmmehrheiten für ihre Lösung kumulieren. Je abstrakter ein Thema, desto sicherer auch, dass formale Transparenz nicht ausreicht, um solche antidemokratischen Effekte zu vermeiden. Je komplexer ein Thema, je detaillierter und kleinteiliger die zu entscheidenden Maßnahmen, desto weniger Menschen werden sich an solchen Themen beteiligen. „Liquid Democracy“ legt eben nicht den Grundstein zu einer höheren Transparenz und Mitsprache, sondern schafft eine Basis für eine Diktatur der TechnokratInnen. Insbesondere der Wunsch, auch bei solchen Verfahren ein Höchstmaß an Anonymität zu ermöglichen ist die Hintertür zum zukünftigen Missbrauch des Verfahrens. Erinnert sei dabei an die Probleme des Mediums „Wikipedia“, beim dem durch eine anonymisierte Mitarbeit Artikel von Lobbyisten zugunsten von Firmen und Personen verändert wurden und werden. Zwischenzeitlich beherrschen notwendigerweise Wikipediaaufpasser das Feld und entscheiden darüber, welche Texte, welche Interpretation, ja welche Wahrheit in „Wikipedia“ veröffentlicht werden darf. Das ist in der Welt eines Lexikons womöglich angemessen, aber es zeigt bereits auf, wie anfällig dieses Formen der anonymisierten netzbasierten politischen Teilhabe sind.
Zusätzlich ist strukturell erkennbar, welch elitäres Politik- und damit Menschenmodell hier vorherrscht. Die Teilhabe am Piratenmodell erfordert ein hohes Maß an freier verfügbarer Zeit – allein dies wird innerhalb kurzer Zeit zu einer Form der verdeckten Professionalisierung und Majorisierung der Basis führen.
Der hohe Zeitbedarf grenzt aber auch alle aus, die in ihrem alltäglichen Leben aufgrund vorhandener Mehrfachbelastungen über diese Zeitreserven nicht verfügen. Insbesondere Frauen mit Kindern werden strukturell ausgegrenzt, da die internetbasierte Debattenkultur eine Schnelligkeit entwickelt hat, die jeden und jede überfordert, die eben nicht kontinuierlich am Prozess teilnehmen kann.
Die Teilhabe via Technologie grenzt aber auch all diejenigen aus, die entweder über die technischen Möglichkeiten nicht verfügen bzw. Schwierigkeiten mit ihrer Beherrschung haben.
Es grenzt all diejenigen aus, die sich am schriftlichen Diskurs nicht beteiligen können, da sie der deutschen Schriftsprache bspw. nur unzureichend mächtig sind.
Das Modell ist ein in sich Elitäres, da Zeit, technisches Knowhow und sprachliche Fähigkeiten in einem Umfang zur Grundlage der Teilhabe gemacht werden, über den Teile der heisigen Gesellschaft eben nicht verfügen.
Im Grund werden hier die Schwächen der direkten Demokratie mit den Problemen eines technischen Mediums verknüpft. Die technikaffinen Piraten jedoch suchen in erster Linie Lösungen für technische Probleme ohne zu erkennen, dass ihr Modell demokratietheoretische Defizite aufweist, die zu klären sind, bevor man sich der Technologie zuwendet.
antoine favier,
Montag, 14. Mai 2012, 17:54
Wer meint, diese Einschätzung sei realitätsfremd, der lese ganz aktuell
Spiegel-Online
Zu wenige Mitglieder haben Zugang zum Online-Tool; die Oberfläche ist für viele unverstädnlich, für den Antrag einer Neuwahl des Parteivorstandes der Berliner Piraten genügten 81 Stimmen im Online-Tool.
Von 30.000 Parteimitgliedern haben nur 12% überhaupt je mit dem Online-Tool abgestimmt. Hier wird mehr versprochen als geboten. Der Anspruch des "Kadavergehorsams" gegenüber den Ergebnissen der "Liquid Democracy" besteht aber fort:
Spiegel-Online
Zu wenige Mitglieder haben Zugang zum Online-Tool; die Oberfläche ist für viele unverstädnlich, für den Antrag einer Neuwahl des Parteivorstandes der Berliner Piraten genügten 81 Stimmen im Online-Tool.
Von 30.000 Parteimitgliedern haben nur 12% überhaupt je mit dem Online-Tool abgestimmt. Hier wird mehr versprochen als geboten. Der Anspruch des "Kadavergehorsams" gegenüber den Ergebnissen der "Liquid Democracy" besteht aber fort:
Im Bundesvorstand wollen er und ein Kollege stets so abstimmen, wie es ihnen die Basis per Abstimmungs-Software vorgibt.