Montag, 22. September 2014
Im französischen politischen Sprachgebrauch gibt es den Begriff der „banlieue rouge“ (rote Vorstädte) oder gleichwertig des „centure rouge“ (roter Gürtel), womit die französischen Kommunen rund um Paris gemeint waren, die ab den 1920ern mehrheitlich von der Arbeiterklasse bewohnt wurden und die über Jahrzehnte in ihrer Mehrheit für die französische kommunistische Partei gestimmt haben.

Bei einer Wahlanalyse der Stadt Frechen in den letzten Jahren könnte man in einer weitgefassten Analogiebildung von einem schwarzen Gürtel sprechen, der die Kernstadt umfasst. Der schwarze Gürtel besteht aus den Ortsteilen Königsdorf, Buschbell/Hücheln, Bachem, Habbelrath und Grefrath, die der hiesigen CDU seit mehr als 10 Jahren ihre Mehrheiten verschafft haben.

Da im Mai 2015 die Bürgermeisterwahl stattfindet, kann es sich lohnen diese politische Struktur genauer zu analysieren.

Die fünf Ortsteile stellten bereits 2009 mit 20.701 Wahlberechtigten 52% aller Wahlberechtigten, wobei durch den Ausbau Königsdorfs sich der Schwerpunkt noch etwas stärker in den schwarzen Gürtel verschoben haben dürfte.

Eine erste Auffälligkeit bei einer näheren Betrachtung der Zahlen ergibt sich bei der Wahlbeteiligung. Im schwarzen Gürtel sind fast 58% aller Wahlberechtigten zur Wahl gegangen, in der Kernstadt nur gut 50%. Betrachtet man das CDU-Ergebnis, so wird die Bedeutung des schwarzen Gürtels für die Partei erkennbar, denn hier holte sie 60% ihrer Stimmen, in der Kernstadt nur 40%. Das Verhältnis bei der SPD war etwas ausgeglichener, wenn auch aus anderen Gründen: die SPD holte 52% ihrer Stimmen in der Kernstadt und 48% im schwarzen Gürtel.

Schaut man dann auf die Stimmverteilung zwischen den Parteien, so zeigt sich die Stärke des schwarzen Gürels. Im schwarzen Gürtel erhielt die CDU 52% aller abgegebenen Stimmen, die SPD hingegen nur gut 26%. Denkt man in den großen politischen Lagern, also das Rot-Grüne gegen das Schwarz-Gelb Lager (inklusive der Perspektive) so holt das Schwarz-Gelbe Lager im schwarzen Gürtel knapp 62% der Stimmen, das Rot-Grüne dagegen nur 38%.

Die Verhältnisse in der Innenstadt gestalten sich deutlich anders: im direkten Parteienvergleich holte die CDU gut 41% der Stimmen und die SPD 37%. Denkt man dagegen wieder in Lagerstrukturen, so ergibt sich ein kaum mehr spürbarer Vorsprung für das Schwarz-Gelbe Lager. Hier 50,6%, bei Rot-Grün 49,3%.

Strukturell entscheidend aber ist für die CDU das gute Abschneiden im schwarzen Gürtel, verknüpft mit der dort deutlich höheren Wahlbeteiligung. 2009 hätte der SPD-Kandidat seinen realen Stimmenanteil in der Innenstadt verdoppeln müssen, um seinen Rückstand resultierend aus dem Ergebnis des Schwarzen Gürtels zu egalisieren.

Unvorstellbar! Unerreichbar!

Für die SPD stellt sich die Situation auch deshalb so negativ dar, da sie im linken Lager an Bindungsfähigkeit verloren hat. Als 1999 Jürgen Schaufuß gegen Hans Willy Meier die Bürgermeisterwahl verlor, vereinte die SPD noch 91% der Stimmen des linken Lagers. Bei der Wahl 2004 konnte die SPD noch 86% der Wähler des linken Lagers an sich binden, 2009 sank der Anteil auf gerade noch 72%.

Daraus lassen sich bereits heute einige Schlussfolgerungen ziehen, ohne dass es von Relevanz ist, mit welcher Person die SPD in den Wahlkampf ziehen will.

1. Der SPD muss es gelingen, die Wahlbeteiligung in der Kernstadt substantiell zu erhöhen. Hier muss man nur an die SPD-Ministerpräsidentin erinnern, die den Straßenwahlkampf als zentrales Element begreift, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Es gibt sozialdemokratische Erfahrungen aus dem letzten Frechener Kommunalwahlkampf, die belegen, dass ein gut gemachter Stadtteilwahlkampf zum Erfolg führen kann.

2. Die SPD benötigt einen Kandidaten, eine Kandidatin, die im grünen / im linken Lager wählbar ist. Das kann beispielsweise bedeuten, dass ein sozialdemokratischer Kandidat sich als „eigenständiger Kopf“ profiliert, der Ideen umsetzen will, die in der eigenen Partei möglicherweise noch umstritten sind, aber für GrünwählerInnen einen hohen Stellenwert haben.

3. Die SPD benötigt „eine Erzählung“, die einerseits auf die grundlegenden sozialdemokratischen Werte referiert (das links-progressive Profil der Partei betont) und andererseits die Vision einer „sozialdemokratischen Stadt der Zukunft“ vermittelt. Um verständlich zu machen, worum es hierbei geht, muss nochmals an Hannelore Kraft erinnert werden, die im Landtagswahlkampf 2009 das Thema „vorsorgende Sozialpolitik“ wieder salonfähig gemacht hat. Vorsorgende Sozialpolitik, die heute kostet, aber den Menschen und der Gesellschaft langfristig nützt, diese Erzählung trug ihren Wahlkampf und ermöglichte auch den Sieg der lokalen SPD-KandidatInnen im Landtagswahlkampf 2010.

Vorsorgende Sozialpolitik ist jedoch kein Thema, um in einem Kommunalwahlkampf zu punkten, dazu ist der sozialpolitische Handlungsspielraum einer Kommune zu gering.
Was in den kommenden Jahren indes alle Kommunen beschäftigen wird ist die Entwicklung der Schullandschaft. Die Landesregierung hat einige Vorlagen gegeben, die nutzbar sind.
So forciert die Landesregierung mit dem 9.Schulrechtsänderungsgesetz die schulische Inklusion. Was muss in Frechen für eine erfolgreiche Umsetzung getan werden? Hier sind viele Felder noch unbearbeitet.
Um auf den Niedergang der Hauptschulen zu reagieren hat die Landesregierung das Tor für Neugründungen von Gesamtschulen weit aufgestoßen. Der kurzfristige Bedarf in Frechen für diese Schulform ist vorhanden. Alleine mit diesem Thema ließe sich ein Wahlkampf gestalten. Und, dieser Aspekt ist nicht gering zu achten: ein klares Bekenntnis zum sofortigen Start einer Gesamtschule könnte der SPD ermöglichen im grünlinken Lager zu wildern.
Es gibt sicherlich noch weitere Themen, die es einem sozialdemokratischen Kandidaten ermöglichen würden, sich vom rechten Lager abzugrenzen und ein eigenständiges Profil zu entwickeln. Unbeantwortet bleibt dabei die Frage: will der künftige Kandidat der SPD diesen Weg gehen, bzw. will ihn die lokale SPD auf diesem Weg unterstützen?

Sollte sich der SPD-Wahlkampf wie 2009 im lokalen Kleinklein erschöpfen, so ist die Niederlage bereits jetzt strukturell vorgezeichnet, denn bei einem Kleinklein-Wahlkampf wird der schwarze Gürtel die Wahl entscheiden, wie 1999, 2004 und 2009.




Mittwoch, 17. September 2014
Thema: Inklusion
Es handelt sich nicht gerade um eine Lektüreempfehlung, aber auch ein Koalitionsvertrag kann mit Gewinn gelesen werden. Zumindest mit einem Zugewinn an Information.

Im Frechener Stadtrat wurde vor kurzem die Schließung der Anne-Frank-Förderschule zum Ende des Schuljahres beschlossen. In dieser Vorlage wurde die Alternativlosigkeit der Schließung auch damit begründet, dass Kooperationsangebote an den Kreis von diesem abgelehnt worden seien.

Nun braucht man sich keinen Illusionen hingeben. Die Anne-Frank-Schule muss geschlossen werden, da Eltern förderbedürftiger Kinder mit den Füssen abgestimmt haben. Soll heißen: diese Eltern wollen ihre Kinder an Regelschulen unterrichtet sehen, nicht an Förderschulen.
Man braucht kein Hellseher zu sein, um zu erkennen, dass dieser Trend auch vor den Förderschulen des Kreises keinen Halt machen wird. Die Folgen sind absehbar: auch die Förderschulen des Kreises müssen mit in den kommenden Jahren mit stark rückläufigen Kinderzahlen rechnen. Die Existenz vieler Förderschulen im Kreis ist gefährdet. Wenn nicht schon heute, dann spätestens in drei bis vier Jahren.

Bereits im vergangenen Jahr sind in vielen Kommunen des Kreises Förderschulen geschlossen oder zusammengelegt (Wesseling/Hürth/Brühl, Kerpen und Erftstadt sowie Bergheim mit mit den kleineren Nordkreiskommunen) worden. Man redet von Kooperationen, die vereinbart wurden, dabei sind es Operationen am offenen Herzen, Notmaßnahmen um die Lebenszeit einzelner Förderschulen künstlich zu verlängern. Den Preis dieser Maßnahmen müssen oft genug die betroffenen Kinder und ihre Familien tragen, denn deren Fahrtzeiten zu den Förderschulen verlängern sich dadurch nicht unwesentlich.

Es ist kaum anzunehmen, dass die längeren Fahrtzeiten zu Steigerung der Popularität der Förderschulen beitragen werden.

Wenn man aber diese Effekte bereits vor Augen hat, wie kann man dann in einen Koalitionsvertrag diese Sätze hineinschreiben?
Zurzeit wird die Thematik der schulischen Inklusion im Rahmen einer gemeinsamen Schulentwicklungsplanung von Kommunen und Kreis erarbeitet. Die Koalitionsfraktionen orientieren sich dabei am Elternwillen und Kindeswohl. Das Förderschulangebot des Kreises soll im Umfang der Nachfrage erhalten bleiben, um Wahlfreiheit zu sichern.
Man muss das Geschwurbsel mal auflösen, um zu verstehen, was nicht mehr wirklich zu verstehen ist:

a.) Es gibt eine Rechtslage, die das Recht des Kindes in den Vordergrund stellt: das Recht des Kindes auf Beschulung in einer Regelschule. Formal gilt sogar: dieses Recht des Kindes kann sogar den Elternwillen (bei der Wahl der Schule) brechen.
b.) Es gibt einen dokumentierten Elternwillen, der sich darin ausdrückt, dass immer weniger Eltern ihre Kinder auf Förderschulen anmelden. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass immer mehr förderbedürftige Kinder an Regelschulen unterkommen wollen und müssen.
c.) Bei diesem Thema nachfrageorientiert zu argumentieren, wirkt an dieser Stelle etwas deplatziert. Es gibt keinen von Angebot und Nachfrage gesteuerten Markt, der hier, im liberalen Duktus gesprochen, segensbringend funktionieren würde. Bis vor zwei Jahren wurden förderbedürftige Kinder zwangsweise einer Förderschule zugewiesen. ZWANGSWEISE! Die Nachfrage nach Förderschulplätzen entstand nicht, weil Eltern das so wollten, sondern weil man ihre Kinder einer bestimmten Förderschule zugewiesen hat. Man hat aber auch diese Zwangsmaßnahmen sicherlich damals bereits mit dem Kindswohl begründet.
d.) Fiel eine Förderbedürftigkeit eines Kindes erst im Laufe der Schulzeit auf, so konnte bisher die Schule die „Feststellung des Förderbedarfes“ beim zuständigen Amt veranlassen. Auch das ist vorbei. Es bleibt nun Eltern überlassen, ob sie einen besonderen Förderbedarf amtlich festgestellt sehen wollen oder nicht. Noch vor zwei Jahren führte dieses Verfahren dazu, dass Kinder von Amts wegen aus den Regelschulen herausgenommen und zwangsweise einer Förderschule zugewiesen wurden. Vorbei, passé, auch diese Form der von Regelschulen und Ämtern in friedlicher Eintracht produzierten Nachfrage nach Förderschulen gibt es nicht mehr.

Die Jamaika-Koalition will aber „das Förderschulangebot des Kreises (…) im Umfang der Nachfrage erhalten (…), um Wahlfreiheit zu sichern“

Das ist Unsinn. Eine aktive Nachfrage nach Förderschulen ist, wenn wir das Thema Mehrfachbehinderungen in dieser Debatte vorläufig ausblenden, kaum spürbar.
Und wenn auf das Thema der Wahlfreiheit referiert wird, so muss der Fokus nicht auf den Förderschulen liegen, sondern auf den Regelschulen. Wirkliche Wahlfreiheit bedeutet doch wohl, dass die Regelschulen fähig und willens sind, förderbedürftige Kinder aufzunehmen und zu fördern. Was unternimmt der Kreis, um Regelschulen bei der Umsetzung der Inklusion zu helfen? Welche Pläne hat die Jamaika-Koalition?

Der Koalitionsvertrag erweckt den Eindruck kompletter Ahnungslosigkeit bei den Jamaika-Abgeordneten. Sollten die Formulierung nicht Produkt kollektiver Ahnungslosigkeit sein, so ist sogar noch Schlimmeres zu vermuten.

Das wundert einen ja nicht unbedingt bei CDU und FDP – aber was für ein trauriges Bild geben die Kreisgrünen bei diesem Thema ab?




Montag, 15. September 2014
Thema: Zuckungen
Der Thüringer CDU-Politiker Younes Ouaqasse, Mitglied des Bundesvorstandes, forderte seine Partei auf, den Grünen „ein ernsthaftes Angebot“ zu machen, „damit die neue Landesregierung auf breiter Grundlage arbeiten kann.

Nein, diese wird nicht der Ort, um die Thüringer Irrungen und Wirrungen zu kommentieren, vielmehr bietet sich dieses tagesaktuelle Zitat an, um auf die hiesige Verwirrung in koalitionspolitischer Hinsicht hinzuweisen.

Auch hier in Frechen wird verhandelt, so berichtet die Kölnische Rundschau, die FDP bspw. führt „zurzeit Gespräche mit vielen Parteien, so ihr Fraktionschefin, Frau Kayser-Dobiey. Das klingt nun etwas seltsam, denn eigentlich spricht die CDU mit FDP und Grünen über eine Zusammenarbeit, aber es ist wohl die FDP, die entscheidet. Wie formuliert es eben diese Frau Kayser-Dobiey: „Die Gespräche seien noch nicht so weit gediehen, um sich auf eine bestimmte Konstellation festzulegen.“

Nun denn, dann wissen wir ja Bescheid, die CDU führt Gespräche aber die FDP bewertet und entscheidet.....

Um nun aber wieder auf das Eingangszitat zurückzukommen, in Thüringen ist gestern gewählt worden, in Frechen vor gut 16 Wochen. Andernorts, so etwa eine Ebene höher, im Kreistag, sind die Koalitionsverhandlungen längst abgeschlossen, die dortige Jamaica-Koalition ist handlungsfähig.

Hier aber wird immer noch geredet.

Aus dem Artikel lässt sich vieles herauslesen nicht aber ein spürbarer Wille der lokalen CDU, ernsthafte Koalitionsverhandlungen mit den Grünen zu führen. Wie sagte das der Thüringer CDUler so stimmig: man müsse ein „ernsthaftes Angebot machen“.

Wie formuliert es die CDU-Fraktionsvorsitzende: „Es kann auch immer noch sein, dass wir am Ende sagen, wir arbeiten nur in Sachfragen zusammen.“

Mal ehrlich, weiter sind sie noch nicht, nach noch nicht einmal 16 Wochen?

Da ist ja jede Sitzung einer Schülermitverwaltung ein Ausbund an Zielstrebigkeit.