Dienstag, 26. September 2017
Nachdem in den letzten beiden Tagen eigentlich nur noch über die AfD geredet wurde und wer und wo sie wie gewählt wurde, musste ich mir die AfD-Ergebnisse in Frechen doch auch mal genauer zu Gemüte führen.

Gewisse Unschärfen enthält meine Betrachtung, da Frechen die Briefwahlstimmen nicht auf die einzelnen Stimmbezirke verteilt, sondern spezielle Briefwahlbüros einrichtet, in denen die BriefwählerInnen verschiedener Stimmbezirke zusammengefasst werden.

Ich befasse mich daher nur mit den am Sonntag in den Wahlbüros abgegebenen Stimmen, nicht aber mit den Ergebnissen der Briefwahl.


Hier finden sich auf einen Blick zusammengefasst die Stimmbüros der Frechener Innenstadt, in denen der Stimmanteil der AfD, bei 2 Ausnahmen (St. Audomar und Realschule), über dem städtischen Mittel liegt.

Beginnen wir aber zuerst einmal mit der Wahlbeteiligung:
Am Wahltag selber lag diese in den hier dargestellten Wahlbüros bei gut 51,3 %. In den Königsdorfer Wahlbüros dagegen lag die Wahlbeteiligung bei knapp 57 %. Vereinfacht formuliert bedeutet das, dass alleine die höhere Wahlbeteiligung in Königsdorf dazu führt, dass das Wahlverhalten der Königsdorfer Wählerinnen und Wähler ein höheres Gewicht hat, als das Wahlverhalten in der Kernstadt. Darüber wurde hier im Blog schon mal berichtet: "Und noch ein paar Erkenntnisse".
Schaut man nun auf das Ergebnis der CDU, so wird das sehr deutlich, denn in Königsdorf erhielt die CDU in den Wahlbüros 35,3% der Stimmen, in der Frechener Kernstadt nur 27,6 % der Stimmen. Bei der SPD ist es entgegengesetzt: In Königsdorf erhielt die SPD 19,6 % der Stimmen, in der Kernstadt 30,2%. Bei der LINKEN sind die Verhältnisse 6,0% zu 8,3%. Also auch ein deutliches Gefälle.

Und damit sind wir auch schon bei der AfD. Diese erhielt in Königsdorf 6,3% der Stimmen, in der Kernstadt aber 11,4%. An diesem Verhältnis wird deutlich, dass die AfD in den Stimmbezirken überdurchschnittliche Ergebnisse erzielen konnte, in denen auch SPD und die LINKE überdurchschnittlich abschneiden. So etwa in Stimmbezirk Herbertskaul mit 14,2%, rund um die Burgschule mit 13,3% oder im Haus am Bahndamm (Rosmarstraße und Teile der Grube Carl) mit 12,7%.
Es handelt sich dabei um die Stadtteile, in denen die Stadt entweder eine Flüchtlingsunterkunft gebaut hat (Herbertskaul) oder plante, eine solche zu errichten (Grube Carl, Rosmarweg). Andererseits weichen die AfD-Ergebnisse in den anderen Stimmbezirken nicht gravierend von diesen Werten ab. Es wäre daher zu einfach, die AfD-Stimmengewinne direkt mit den Flüchtlingsunterkünften zu erklären.

Ebensowenig wird man aber aus der Tatsache, dass es sich bei diesen Stimmbezirken um "Hochburgen" der linken Parteien handelt(e) schlussfolgern können, dass jeder AfD-Wähler ein abtrünniger Wähler von SPD oder LINKE gewesen wäre. Ganz sicher nicht. Aber schmerzhaft für die SPD und die LINKE ist es doch, wenn in Stimmbezirken, in denen im Schwerpunkt Menschen mit geringerem Einkommen und / oder mit Migrationshintergrund und oft genug damit einhergehend mit geringerwertigen Schulabschlüssen leben, so viele Wähler und Wählerinnen bei der AfD ihr Kreuz machen.
Es kann sich dabei um NichtwählerInnern handeln, um Erstwähler, aber auch um echte Verluste also um ehemalige Wählerinnen und Wähler von LINKE oder SPD.
Aber auch ein Erstwähler der seine erste Stimmabgabe nutzt, um die AfD zu wählen oder ein langjähriger Nichtwähler, der nach langen Jahren der Abstinenz endlich wieder den Weg ins Wahllokal findet und der dann sei Kreuz bei der AfD macht, oder ein entäuschter CDU-Wähler, der für die AfD stimmt, das alles sind Verluste für SPD und LINKE, denn ihnen ist es nicht gelungen, diese Wählerinnen und Wähler für sich zu gewinnen.

Dabei, beide Parteien haben im Wahlkampf mit Gerechtigkeitsthemen geworben, also Themen, von denen man annehmen könnte, dass sie in derart strukturierten Stimmbezirken gut angenommen werden. Dem war aber wohl nicht so. Die Wahlergebnisse sprechen hier eine eindeutige Sprache.

Sowohl die SPD als auch die LINKE müssen sich also der Frage stellen, wodurch ihr schwaches Abschneiden in solchen Stadtteilen zu erklären ist. War der Gerechtigkeitswahlkampf der beiden Parteien nicht glaubwürdig?
Oder andersherum gefragt: wie muss eine linke Partei vor Ort aufgestellt sein, damit sie wieder glaubwürdig mit dem Thema Gerechtigkeit in den Wahlkampf ziehen kann?

Es ist in diesem Zusammenhang m.E. zu kurz gesprungen, eine Lösung für diese Probleme vor Ort bei den Parteistrategen in den Berliner Zentralen zu erwarten.
Und es wäre ebenfalls zu kurz gesprungen, wenn man auf die Effekte eines modernen, digitalen und sozialmedialen Wahlkampfs setzen würde.

Nein, in diesen Stadtteilen kann man vermutlich nur durch eine langangelegte Kärnerarbeit vor Ort wieder Zugang zu den Wählerinnen und Wählern finden. Denn: Gerüchte, Verschwörungstheorien, Panikgeschichten eignen sich hervorragend, um über das Internet verbreitet zu werden. Die AfD und ihr Umfeld beherrschen dieses sicherlich bestens. Dieser Angstpolitik als Partei im Internet entgegen wirken zu wollen, ist schwierig und lokal kaum lösbar.
Lokal machbar aber ist es, in den Stadtteilen Präsenz zu zeigen, als Partei politisch aktiv zu sein und aufzuzeigen, dass es neben einer kurzfristigen Empörung auch langfristige Wege zu Verbesserung der Lage gibt.

Die Lösungen liegen sozusagen auf der Straße. SPD und LINKE müssen sich „nur“ auf ihre Wurzel besinnen, und wieder ganz altmodisch dahingehen wo es „stinkt“, um mit Sigmar Gabriel zu sprechen,.
Nur so können sie wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen. Glaubwürdigkeit jedoch übersetzt sich auch in Wählerstimmen. Und man könnte ganz altmodisch auch wieder an den Erziehungsauftrag anknüpfen, den Parteien eben auch haben: politische Erziehung im besten Sinne, die dazu führen sollte, dass sich die Wahlbeteiligung in weniger bourgeoisen Stadtteilen wieder verbessert.




Montag, 25. September 2017
Eigentlich, wenn man denn nicht die Bundestagswahlergebnisse von 2013 und 2017 vergleicht, sondern das Landtagswahlergebnis vom Mai 2017 als Vergleichsmatrix heranzieht, dann hat sich vieles bereits im Mai 2017 abgezeichnet.

Halten wir aber erst einmal fest, dass die Wahlbeteiligung bei der BTW 2017 um 4% höher lag als bei der BTW 2013 und sogar um 10% höher als bei der LTW 2017. In absoluten Zahlen: bei der BTW 2013 gaben 27.389 WählerInnen ihre Stimme ab, bei der LTW 2017 27.389 und bei der BTW 2017 29.458.

Was nun hat sich nun auf der Ebene der einzelnen Parteien hier in Frechen getan? Wer hat von der gestiegenen Wahlbeteiligung profitiert, wer hat sich erfolgreich präsentiert?

Die CDU hat zwischen der BTW 2013 (42,1%) und der LTW 2017 (33,5%) fast 8,5 % verloren. Dieser Verlust wurde in der BTW 2017 (32,7%)nur noch geringfügig um 0,7% auf 9,4% ausgebaut. Das schaut nicht so aus, als ob der Bundestagswahlkampf hier irgendwelche Bewegungen verursacht hatte.

Die FDP hat von der BTW 2013 (5,6%) zur LTW 2017 (14,1%) gut 8,4% zugelegt. Jetzt sind nochmals 0,7% (= 14,8%) oben drauf gekommen. Also hat der Lindner-Effekt schon in der LTW 2017 in NRW gezogen, das hat im Bund auch geklappt. Aber zu wirklichen Zugewinnen gegenüber der Landtagswahl hat es hier nicht mehr gereicht.

Und wie das so ist bei kommunizierenden Röhren, der Stimmenanteil von CDU und FDP zusammen liegt über alle drei hier betrachteten Wahlen hinweg konstant bei 47,6 %. Was dem einen abgeht, gewinnt der andere.

Gehen wir mal weiter zur AfD. Hier können wir eine Gewinnerstory beschreiben. Bei der BTW 2013 erreichte die AfD nur 3,74%. In der LTW 2017 sehen wir sie bei 7,20% also einem deutlichen Zuwachs von rund 3,5% und in den letzten Wochen sind nochmals 1,8% hinzugekommen, womit die AfD bei 9,02% ausläuft und Grüne und Linke überflügelt hat.

Ist nun zwischen Mai und September irgendetwas geschehen, was diesen Zugewinn der AfD erklären könnte? Eigentlich nicht, keine neuen Flüchtlinge am Horizont, keine weiteren Silvesterskandale, keine schweren Straftaten im weiteren Umkreis, die man Flüchtlingen anlastet könnte. Die Flüchtlingsarbeit vor Ort lief und läuft ruhig und unaufgeregt. Ist das also dem Bundestrend geschuldet? Der Tatsache, dass die Flüchtlinge, entgegen der Realität vor Ort, zu einem Hotspot des Wahlkampfes geworden sind? Die beiden Volksparteien tun sich keinen Gefallen, die Flüchtlingsthematik als Abschiebeproblematik zu diskutieren, ganz so wie es die AfD sich wünscht. Differenziertes Argumentieren hat gegen grobes Vereinfachen kaum eine Chance. Trotzdem haben sich die Merkel und Schulz und in ihrem Gefolge noch viel andere, auf dieses Niveau herabgelassen. Die Folgen werden jetzt erkennbar.

Nun gut, schauen wir noch auf Grüne und die LINKE: beide Parteien hatten bei der LTW 2017 einen echten Durchhänger, die Grünen hatten bei der BTW 7,4% und verloren bei der LTW 1,8% (=5,6%). Davon haben sie sich weitestgehend wieder erholt und liegen jetzt bei 7,2%. Der kleiner Verlust von 0,2% weicht aber deutlich vom Bundestrend ab, denn im Bundhaben die Grünen zugelegt.. Andererseits wurde im Bund ja schon seit Wochen darüber geredet, dass eine Jamaikakoalition neben der großen Koalition die realistischste Alternative für die kommenden vier Jahre sei, und hier kennen wir Jamaikakoalitionen ja schon aus dem Kreis und aus der Kommune.
Da man aber schon bei diesen Jamaikakoalitionen jedoch sehr sehr genau hinschauen muss, um das Grüne darin zu erkennen, drängt sich die Vermutung auf, dass Jamaika vor Ort keine Option war, um weitere WählerInnen zu gewinnen.

Die LINKE dagegen erreichte bei der BTW 2013 5,8%, bei der LTW 2017 4,3% und jetzt liegt sie bei 6,6%. Hier kann man in geringem Umfang die Effekte des SPD-Politik während des Landtagswahlkampfes erkennen. Die SPD hatte sich klar von der LINKEN abgegrenzt und eine Koalition mit ihr kategorisch ausgeschlossen. Damit war es ihr auf Landesebene gelungen, die Linke unter die 5% zu drücken. So auch in Frechen. Das hat bei der Bundestagswahl nicht funktioniert, weil einerseits der Wiedereinzug der LINKEN in den Bundestag gesichert war und andererseits eine Stimmabgabe für die LINKE der SPD nicht mehr weiter schaden konnte, da mehr als eine große Koalition unter Merkels Führung nicht denkbar erschien.

Bleibt nur die SPD, die hier vor Ort als die eigentliche Wahlverliererin erscheint. So hatte die SPD bei der BTW 2013 noch 30,5% und damit 8.346 Wählerstimmen erhalten. Bei der Landtagswahl waren es noch 7.958 Wählerstimmen und dank der gesunkenen Wahlbeteiligung ein Stimmenanteil von 31,1%. Mit der BTW 2017 wurde jetzt ein neuer Tiefststand erreicht. Nur noch 7.737 WählerInnen stimmten für die SPD, in Prozenten ausgedrückt 26,3%.

Das wäre ja alles irgendwie zu verkraften, aber gegenüber der LTW 2017 ist die Wahlbeteiligung um 10 %, die Anzahl der abgegebenen Stimmen um fast 3.900 gestiegen. Alle hier aufgezählten Parteien haben mehr Stimmen erhalten als bei der LTW 2017 (CDU: + 1.071; LINKE: + 855; AfD: + 828; FDP: + 767 und Grüne: + 689) nur die SPD hat weiter an Stimmen verloren, nämlich 221.

Nun kann man als Frechener Ortsverein alle Schuld von sich schieben, es war der Schulz oder die Merkel oder die große Koalition und vermutlich ist vieles am Frechener Ergebnis dem Bundestrend geschuldet. Aber sollte die SPD sich wirklich in die Opposition flüchten dürfen - noch haben wir keine neue Regierung - dann sollte man sich auch vor Ort über eine Neuaufstellung Gedanken machen. Die hier herrschenden langjährigen Sozialdemokraten sind sicherlich nicht diejenigen, die der alten Tante SPD neues Leben einhauchen können. (und wer hier auf die alten Linken Corbyn und Sanders verweist, der zeige mir den Frechener Corbyn, den Frechener Sanders in den Reihen der hiesigen SPD …)




Freitag, 15. September 2017
Die ganze Zeit überlege ich schon, ob ich über die Bundestagswahl schreiben soll … aber worüber soll man denn nun wirklich schreiben? Wo ist das Thema dieser Wahl?

Die Schulz-Hype? Ist seit Monaten durch und die SPD scheint eher auf dem Weg in die Depression.

Über die Bundeskanzlerin und ihren Wahlverein? Muttibashing? Macht die AfD ist also auch keine Alternative. Über das CDU-Wahlprogramm? So aussagekräftig wie die CDU-Wahlplakate.

Über Lindner? Ich habe gelernt, dass es nicht angeht, sich bei Politikerinnen über ihre Frisur, ihre Kleider oder ihr Schuhwerk auszulassen, da dieses als Form einer sexistischen Abwertung verstanden werden kann. Würde ich mich nun über Lindners Dreitagebart mokieren, müsste ich dann aus Gründen ausgleichender Gerechtigkeit auch bspw. über Katrin Göring-Eckardts Kleider, Hosen oder sonst was lästern.
Geht also auch nicht.
Andererseits gibt das FDP-Wahlprogramm auch nichts her. In Anlehnung an die letzte Presseerklärung der Frechener SPD kann man nur sagen: Alter Wein in digital aufgepeppten Schläuchen. Wer neoliberal will, hier bekommt er’s.

Was bleibt ist am Ende doch nur die SPD und die Frage, warum es so schief gehen konnte, wie es nun schief zu gehen scheint, oder anders formuliert: warum es so schief gehen musste.

Ich habe die ganze Zeit schon überlegt, wie ich Schulz mit einem Bild beschreiben soll, weil er ja einerseits ein netter Kerl ist, die SPD andererseits auch einiges getan hat, um programmatisch andere Zeichen zu setzen und trotzdem reagiert die Öffentlichkeit so desinteressiert und gelangweilt.

Gestern kam mir das Bild.

Auf mich wirkt Martin Schulz wie ein kleiner bellender Hund von dem Frauchen sagt "Der tut nichts, der will nur spielen."
Genau das ist es, was auf Dauer rüberkommt. Im Grunde will er da weitermachen, wo die Merkel aufgehört hat und seine "Angriffe" sind nicht ernst gemeint. Warum also Schulz wählen?

Das beschreibt m.E. das Problem des gesamten SPD-Wahlkampfs. Es ist der Partei weder mit der Person noch mit den programmatischen Inhalten gelungen der Öffentlichkeit klar zu machen, dass die SPD eine andere Politik will.

Das begann mit der leidigen Diskussion um die Koalitionsmöglichkeiten. Allen politisch interessierten war klar, dass Martin Schulz nur in einer rot-rot-grünen Koalition Bundeskanzler werden kann. Rot-Gelb-Grün hätte vielleicht auch funktionieren können, aber die Lindner-FDP zieht es ganz stark zur CDU. Schon alleine aus diesem Grund war die zweite Variante nur eine Scheinvariante.
Und was machen die SPD und Martin Schulz? Geben der LINKEN einen Korb. Offiziell weil die LINKE außenpolitisch nicht zuverlässig sei, vermutlich aber vielmehr deshalb, weil die LINKE die SPD immer an ihren Sündenfall Hartz IV erinnert. Die Wagenknecht als die Personifizierung des schlechten Gewissens der SPD….

Hartz IV ist ja auch so ein Punkt, mit dem Schulz hätte wuchern können. Seine ersten Hinweise, was er an den Hartz IV-Gesetzen ändern wolle wurden im eigenen Wählerklientel sehr positiv aufgenommen. Tja da hätte der Kandidat nachlegen müssen, das aber war nicht gewollt. Es sollte bei ein paar oberflächlichen kosmetischen Korrekturen bleiben.

Und dann kam der Dieselskandal und Frau Merkel präsentierte sich als die Schutzgöttin der Autoindustrie. Zwar war die göttin ein bisschen zornig, aber deswegen ließ sie trotzdem nichts auf die deutsche automobilindustrie kommen. Ein bisschen so wie Elternliebe, wenn das eigene Kind Dummheiten gemacht hat ....

Da hätte die SPD die Chance gehabt, sich als Schutzmacht aller Bürgerinnen und Bürger aufzuschwingen. Alle Menschen, auch die allerärmsten, haben das Anrecht auf saubere Luft, selbst wenn sie neben der dichtbefahrensten Straße wohnen. und wenn zum Schutz der Menschen Dieselmotoren aus dem Verkehr gezogen werden müssen, dann hat das zu geschehen. Und zwar auf Kosten derjenigen, die diese Dreckschleudern in den Verkehr gebracht haben.
Aber auch diese Chance wollte der Kandidat nicht ergreifen, denn es hängen ja viele Arbeitsplätze am Dieselmotor und was zählen da schon Menschen, deren Konstitution mit der Stickoxidbelastung nicht zurecht kommen?

Auch bei der Rente wäre die Kanzlerin angreifbar, denn à la Blüm findet sie, dass unsere Rentenversicherung um Grunde eine tolle Sache sei und Änderungen eigentlich überflüssig.
Ganz so sieht das der Kandidat nicht, jedoch will er und die SPD nur das weitere Absinken des Rentenniveaus für die Zukunft verhindern. Das ist was für einen wie mich, ein Mittelschichtler mit einem ordentlich bezahlten Arbeitsplatz. Die Altersarmut des unteren Drittels der Gesellschaft, der prekär Beschäftigten, derjenigen mit gebrochenen Erwerbsbiographien, bekämpft er mit diesem Vorschlag aber nicht. Hier wäre deutlich mehr möglich gewesen. Mit einem solchen Thema hätte die SPD auch bei Menschen punkten können, die schon lange nicht mehr wählen gehen, weil ihre alltäglichen Sorgen und Nöte von der Politik nicht aufgegriffen werden.

Man könnte die Liste beliebig verlängern: Europa, Türkei, Flüchtlinge, aber das würde zu keinen neuen Erkenntnissen führen. Es verfestigt sich nur der Eindruck, dass hier im Grundsätzlichen so weiter gemacht werden soll wie bisher, vielleicht mit einem bisschen mehr sozialdemokratischem Korrektiv, aber im Grunde wie Merkel, nur mit Bart.

Das ist irgendwie ein bisschen wenig. Also wurde die SPD wieder auf ihre Kernwählerschaft zurückgeworfen, die so irgendwo knapp oberhalb der 20% Marke zu liegen scheint.

Bedauerlich, man hätte die Wahl spannender gestalten können, wenn man sich in seinen Handlungsmöglichkeiten nicht selber zu sehr beschnitten hätte.




Montag, 17. Juli 2017
Da konnte man im rheinischen Revier glauben, es werde endlich einmal für einige Jahre Ruhe einkehren an der Ausstiegsfront, nachdem die Grünen nicht mehr in der Landesregierung sind und die Bundesregierung ihre Umweltministerin mit ihren Ausstiegsplänen regelmäßig auflaufen lässt und nun mach die Kanzlerin das Tor zum Ausstieg sperrangelweit auf.

Ja, so muss man das, was da im schwurbeligen Merkeldeutsch von ihr im ARD-Sommerinterview verkündet wurde, wohl verstehen.

Man müsse mit den betroffenen Regionen reden und Alternativen für Beschäftigen herausarbeiten. «Und dann kann man auch den Ausstieg ins Auge fassen», erklärte Merkel in dem Interview.

Wirklich erstaunlich ist der Paradigmenwandel, der sich hier ankündigt, nicht, denn bis 2020 müssten die CO2-Emissionen um 40 % reduziert werden, bis 2050 sogar um 80 bis 95%, wenn die Bundesrepublik ihre Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaschutzabkommen einhalten will.

Dazu kommt: laut einer Studie, die von den Grünen in Auftrag gegeben wurde, arbeiten derzeit nur noch 20.000 Menschen in der deutschen Braunkohleindustrie, vom Abbau bis zur Verstromung. Und 40% der dort Beschäftigten sind älter als 50 Jahre. In Zahlen sind das gerade mal 0,07% aller in der BRD Beschäftigten.
Die Bedeutung der Braunkohleindustrie für den gesamten Arbeitsmarkt ist marginal. In NRW arbeiten aktuell nur noch 8.960 Menschen in der Braunkohleindustrie, und damit weniger als 1% aller in NRW Beschäftigten.

Und dann lese man mal, was der CDU-Kandidat für den Bundestag G.Kippels nach seiner Nominierung erklärte:
1. Braunkohle:
Die seitens der Bundesregierung forcierte Energiewende bereitet schrittweise einen Weg in eine sichere, umweltverträgliche und wirtschaftlich erfolgreiche Zukunft. Dieser Prozess wird Jahrzehnte dauern. Dabei spielt unsere rheinische Braunkohle eine herausragende Rolle, denn sie ermöglicht erst, dass unsere Stromversorgung weiterhin verlässlich und bezahlbar ist. Ich werde mich in Berlin auch weiterhin mit ganzer Energie dafür einsetzen, dass die strukturpolitische Bedeutung der Braunkohle im energiepolitischen Entscheidungsprozess angemessen berücksichtigt wird. Einem übereilten Ausstieg – wie es immer wieder diskutiert wird ist eine klare Absage zu erteilen. Dies ist für unsere Kreis und die hier lebenden Bürgerinnen und Bürger von großer Wichtigkeit.
Nun ja, jetzt wird die CDU natürlich erklären, dass die Kanzlerin ja kein Datum genannt habe und dass hier nur auf Gespräche in den betroffenen Regionen verwiesen wurde, die erst noch zu führen seien … aber machen wir uns nichts vor, dieses Fass mitten im Wahlkampf aufzumachen ist eher ungewöhnlich für eine jegliche Konkretisierung scheuende Bundeskanzlerin.

Wenn man nun einen Gesamtkontext herstellen will, so ließe sich diese Ankündigung auch als eine weitere Brücke interpretieren, auf der die Grünen in eine schwarz-grüne Koalition spazieren können. Die Wichtigkeit der Braunkohle ist nämlich gefühlt deutlich größer als realiter. Aber unsere lokalen Politiker, oft genug mitten im rheinischen Revier groß geworden, haben einen von der Vergangenheit verklärten Blick auf die Braunkohleindustrie. Damals lebte die gesamte Region von ihr. Das aber ist vorbei. Wer wirklich auf die Braunkohle angewiesen ist, das ist die RWE. Diese kann mit den vermutlich längst abgeschriebenen Kraftwerken und im Tagebau noch ordentlich Geld verdienen und wird das auch noch gerne möglichst lange tun – wenn man sie lässt.

Nachdem nun aber selbst die Kanzlerin durch die Blume verkündet hat, dass die Braunkohleverstromung und die Einhaltung der Verpflichtungen aus dem Pariser Klimaabkommen nicht gemeinsam zu haben sein werden, nun wird es eng für RWE und Konsorten.

Und das nur, weil die Kanzlerin sich hat in die Karten schauen lassen beim ARD-Sommerinterview.

Die Ehe für alle resultierte übrigens aus einem sehr ähnlichen Verhalten der Kanzlerin bei einem Podiumsgespräch, das von der Zeitschrift „Brigitte“ ausgerichtet worden war. Auch da ließ sie sich in die Karten schauen, erklärte die Abstimmung über dieses Thema zu einer Gewissensentscheidung. Wir alle wissen, wie das ausgegangen ist.

Man könnte eine Strategie vermuten.