Thema: Umwelt
Ein heikles Thema, denn war man früher als Grüner gegen zu viel Automobilität, so darf man das heute, Kretsches schlechte Laune im Nacken, kaum mehr laut sagen. Und der grüne Spitzenkandidat Cem Özdemir hat sein utopisches Potential, wenn er es denn je hatte, im Kofferraum seiner Limousine verstaut und vergessen.

Sachstand ist doch, dass unsere Form der Mobilität an sich inzwischen zu einem immer größeren Teil Ursache des Klimawandels ist. Wir reisen zu viel und zu weit. Wir fliegen zu viel und zu weit. Wir gehen auf Kreuzfahrt und der Kamin raucht ohne Ende. Wir fahren in unserem Alltag zu viel Auto. Und wir wollen daran nur wenig ändern.

Insofern ist die Antwort der grünen Partei in sich schlüssig und passgenau: „„Wir können den Übergang zu 100 Prozent emissionsfreien Fahrzeugen so schnell wie möglich gemeinsam [mit der deutschen Automobilindustrie] organisieren“, so Cem Özdemir auf dem letzten Parteitag. Und um zu beweisen, dass die grüne Partei weiterhin die Avantgarde bei der Klimarettung stellt, wurde dem Antrag des „linken“ Parteiflügels gefolgt, der diesen Umstieg bis 2030 bewältigt sehen will. Damit will es die Partei im Bereich der Mobilität im Grundsätzlichen aber auch belassen.

Wie aber das Leben so spielt, nur wenige Tage später wurde eine Studie veröffentlicht, die belegt, dass die hier gepriesene Elektromobilität keine Lösung darstellt sondern ebenfalls nur eine weitere problembeladene Technologie darstellt, keinesfalls aber eine Lösung. Bei der Herstellung der für Elektromobilität notwendigen Batterien wird in großer Menge CO2 produziert:
Für die Herstellung der Lithium-Ionen-Akkus werden pro Kilowattstunde (kWh) Kapazität rund 150 bis 200 kg Kohlendioxid emittiert. Untersucht wurden die Elektroautos Nissan Leaf und Tesla Model S mit 30 kWh und 100 kWh-Akkus. Beim kleinen Nissan sind es 5,3 Tonnen CO2, die bei der Produktion anfallen, beim Oberklassefahrzeug von Tesla gleich 17,5 Tonnen CO2
Zum Vergleich: Der Verbrenner müsste für die gleiche Umweltbelastung des Nissan rund drei Jahre gefahren werden, beim Tesla sind es laut Studie acht Jahre. Der Trend zu immer größeren Akkus, dem Tesla und Nissan folgen, sei zwar gut für die Reichweite, aber schlecht für die Umwelt.
Womit wir wieder am Ausgangspunkt jeglicher Debatte sind: Wir fahren zu viel Auto. Und es fehlt an Utopie.

Wer sich heute in unseren Städten umschaut muss feststellen, dass wir zwischenzeitlich unsere Städte um den Autoverkehr herum organisieren. Wie viele Spuren braucht eine Straße, wie müssen die Ampel geschaltet werden, wo fehlt es an Parkraum, das sind die zentralen Elemente deutscher Mobilitätspolitik.

Nun wird zwar längst wieder über den „Lebensraum Stadt“ nachgedacht, aber über das Stadium des Nachdenkens sind wir noch lange nicht hinausgekommen. Noch immer wird jeder Vorschlag, innerstädtischen Raum als Freiraum, als Lebensraum für Menschen zu definieren und dort bspw. einen Park einzurichten mit einem scheelen Blick bedacht und zurückgewiesen. Dieser Raum ist ökonomisch zu wertvoll, als dass man ihn dem Wirtschaftskreislauf entziehen könnte. Da muss ein Wohngebiet hin, da könnte ein Gewerbegebiet entstehen und mit jedem Millimeter Planungsfortschritt zeichnet sich deutlicher ab, dass weitere Straßen benötigt werden, Parkplätze gebaut werden müssen, Raum für Menschen in Autoraum verwandelt wird.

Und die Grünen, die als Partei immer von ihrem Utopieüberschuss gezehrt haben, bieten nun im Grunde nur ein „Weiter so“ an. Wobei die Grünen das „Weiter so“ um ein „aber besser“ ergänzen.

Statt also unsere Mobilitätsvorstellungen grundsätzlich in Frage zu stellen werden diese von den Grünen zwischenzeitlich einfach übernommen und „verbessert“. Man tausche die Antriebstechnik aus und alles wird besser. Und eben das stimmt nicht. Zu allererst wird doch nur das grundsätzliche Problem verlagert. Erzeugt bisher ein Auto seine notwendige Energie im Verbrennungsmotor selber, so wird diese zukünftig an anderer Stelle produziert. Muss dafür Kohle verbrannt werden, so steigt der CO2-Ausstoß beim Energieproduzenten, soll die Energie zukünftig aus Solarzellen und Windkraftanlagen kommen, so müssen entsprechende Anlagen zur Stromgewinnung und Stromspeicherung entwickelt und produziert werden. Und immer wird an irgendeiner Stelle im Produktionsprozess CO2 produziert, werden Rohstoffe benötigt. Man denke nur an die Akkus im Elektro-Auto …

Daher, unser Problem ist auch das „Weiter so, aber besser“, denn auch dieses „Weiter so“ kann bspw. nur funktionieren, wenn in den weniger entwickelten Länder auch ein „Weiter so“ gelten soll. Unsere Formen der Mobilität in einen weltweiten Maßsstab übertragen und die uns bekannte Welt würde bereits heute nicht mehr existieren. Da jedoch unser Mobilitätskonzept stilbildend zu wirken scheint, werden wir erleben, dass auch die Restwelt automobil "aufrüsten" wird. Die Anzahl der in China zugelassenen Automobile wächst und wächst und wächst, Indien folgt und Afrika liegt auf der Lauer.

Nun muss man aber gar nicht so weit schauen, Özdemir und Kretschmann stehen beide für Baden-Württemberg und damit auch für die dort beheimateten Industrieunternehmen, im Schwerpunkt also Autoproduzenten und deren Zulieferer. An dieser Industrie hängen heute noch viele Arbeitsplätze und ein Verzicht auf unsere Form der Mobilität würde diese Arbeitsplätze gefährden.

Ökonomisch hat das Modell einen Namen, der zugleich Programm zu sein scheint: Fordismus. In diesem Modell wurde durch Massenproduktion, also durch eine massive Reduzierung der Kosten ein massiver Preisrückgang für das Endprodukt erreicht. Die günstigeren Kosten wurden dazu genutzt, einerseits breitere Käuferschichten zu erreichen, andererseits konnten die in den Firmen beschäftigten Arbeiter besser bezahlt werden. Es entwickelte sich die uns heute bekannte Konsumgesellschaft. In Deutschland brach sich dieser Trend in den späten Fünfzigern Bahn, das Auto wurde zum Massenprodukt und für immer mehr Menschen erschwinglich. Im Grunde surfen wir immer noch auf dieser Welle, allerdings läuft die Welle aus. Automatisierung und Digitalisierung sollen in den kommenden Jahren auch in der Autoindustrie zu massiven Arbeitsplatzverlusten führen. Immer weniger Menschen werden dann in der Lage sein immer mehr Autos zu produzieren. Das fordistische Wirtschaftsmodell stirbt.
Offen allerdings ist, wer dann diese Autos alle kaufen soll, ob mit dem Ende des Fordismus nicht auch unser Modell des Konsums für alle auslaufen wird.

Statt also eine Antriebstechnik durch eine andere zu ersetzen, wobei die CO2-Minderung deutlich schlechter ausfällt als gerne behauptet, wäre ein grundsätzlicher Wandel in unserem Mobilitätsverhalten und unserer Form des Wirtschaftens notwendig.
Hier wären echte Utopien gefragt, hier sind die Themen der Zukunft, doch genau hier setzt das Nachdenken aus:
Utopie wird als Verlängerung der Gegenwart mit ähnlichen, aber optimierten Mitteln gedacht, nicht als etwas grundsätzlich Neues. (Tanja Dückers)
Da, wo es nun wirklich spannend werden könnte, da begegnen uns in der aktuellen politischen Situation nur Leerstellen.
Ein Nachdenken über eine Kommune in der der Autoverkehr nur noch eine geduldete Residualgröße darstellt, das wäre ein Nachdenken über die Zukunft, ein Nachdenken über Mobilitätskonzepte, die weitestgehend ohne PKWs auskommen, würde Perspektiven für einen nachhaltige Stadtentwicklung eröffnen.

Hierzu aber sind unsere lokalen Parteien nicht fähig und auch nicht willig. Von den einen konnte man dies auch nie erwarten, die anderen, wie gesagt, haben der Utopie entsagt.





antoine favier, Freitag, 30. Juni 2017, 16:56
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