Dienstag, 4. Mai 2021
Thema: Umwelt
Das Bundesverfassungsgericht hat die Ziele des Pariser Klima-Abkommens in Verfassungsrang erhoben. Im Zuge des fortschreitenden Klimawandels, so das Gericht, nimmt das Gewicht des in Art. 20a GG geregelten Klimaschutzgebotes zu.
Zudem gilt: bereits heute hat der Staat die Aufgabe seinen Sorgfaltspflichten gegenüber zukünftigen Generationen gerecht zu werden, in dem er heute alle die klimaschützenden Maßnahmen ergreift, die notwendig sind, um die Freiheitsrechte zukünftiger Generationen nicht über die Maßen durch unser heutiges klimaschädigendes Verhalten einzuschränken. Diese Regel greift bereits trotz bestehender wissenschaftlicher Ungewissheiten über umweltrelevante Ursachenzusammenhänge.

Man kann den aus dem Urteil resultierenden Auftrag an die Politik sehr einfach übersetzen: bisher wurde zu wenig getan, um so viel CO2 einzusparen, dass die Ziele des Pariser Klimaabkommens erreicht werden. Das bedeutet, dass wir alle hier auf Kosten der zukünftigen Generationen zu viel CO2 in die Atmosphäre blasen, wodurch die Lebenschancen und Freiheitsrechte der zukünftigen Generationen massiv bedroht sind.

Ein Urteil, das, wie in der Presse erkennbar, zu sofortigen Reaktionen der Politik geführt hat. Alle Parteien, mit Ausnahme der AfD, erklären unisono, dass das Klimagesetz nachgeschärft werden muss, dass die BRD schneller CO2-neutral werden muss, als geplant. Einzelne Politiker mit hohem Selbstdarstellungspotential bieten bereits erste Lösungen an. Lösungen, die im Regelfall davon ablenken sollen, dass eben diese Politiker bisher alles getan haben, um die durch eine ernsthafte Klimapolitik resultierenden Belastungen von uns Lebenden fern zu halten und auf die Zukunft zu verschieben.

Damit hat es nun ein Ende. Die Zeit des Vertagens und Verschiebens ist vorbei.
Und hierzu lohnt es sich das Urteil genauer anzuschauen. Es sagt, dass der Staat "Voraussetzungen und Anreize für die Entwicklung klimaneutraler Alternativen zu schaffen" hat um vorausschauend "künftige Freiheit" zu schonen. Hierfür sind jetzt bereits die erforderlichen Entwicklungs- und Umsetzungsprozesse einzuleiten, um schon heute für die Zeit nach 2030 Orientierung zu geben und einen entsprechenden Entwicklungsdruck aufzubauen.
Legte der Gesetzgeber beispielsweise frühzeitig konkret fest, dass dem Verkehrssektor ab einem bestimmten Zeitpunkt nur noch geringe jährliche Emissionsmengen zur Verfügung stehen, könnte dies Anreiz und Druck für die Entwicklung und Verbreitung alternativer Techniken und der dafür erforderlichen Infrastruktur entfalten. Die frühzeitige Erkennbarkeit einer Verteuerung und Verknappung CO2-relevanter Mobilität könnte etwa auch dazu führen, dass grundlegende Entscheidungen und Entwicklungen zu Berufs- und Arbeitsplatzwahl oder zur Gestaltung von Arbeits- und Geschäftsabläufen rechtzeitig so getroffen und eingeleitet würden, dass sie von vornherein weniger Mobilität erforderten. Würde dann der festgelegte Zeitpunkt erreicht, könnte das CO2-Budget des Verkehrssektors verringert werden, ohne damit Freiheiten erheblich zu verkürzen
An diesem vom Bundesverfassungsgericht sicherlich nur zufällig gewählten Beispiel sind wir auch wieder ganz nah an der lokalen Politik. Die meisten Wege, die Menschen zurücklegen, sind kürzere Strecken, finden vor Ort statt, und orientieren sich an der vor Ort vorhandenen Infrastruktur. Also werden die konkreten Umsetzungsmaßnahmen nicht im Bundestag in Berlin entschieden, sondern sehr oft in den Kommunen.

Die Stadt Frechen hat ein integriertes Klimaschutzkonzept, von dem sie behauptet, es repräsentiere eine Klimaschutzstrategie. Man darf nur nicht genauer hinschauen:
Einer der bedeutendsten Faktoren für den Erfolg der Klimaschutzaktivitäten ist die Sensibilisierung und das Motivieren der Bürgerinnen und Bürger. Sie sind die Hauptakteure, die das Gelingen fördern oder hemmen können. Daher sind speziell die qualitativen Ziele auf diese wichtige Zielgruppe ausgerichtet.
Aha.

Das bedeutet, dass die Stadt sich im Schwerpunkt darauf zurückzieht zu informieren und einige öffentlichkeitswirksame Kampagnen anzustoßen, die, so der einzige Anspruch, Verhaltensänderungen bei den Bürgerinnen und Bürgern auslösen sollen.

Im gesamten Klimakonzept der Stadt finden sich keine relevanten, einschneidenden Maßnahmen, die die städtische Infrastruktur derart verändern würden, dass von vornherein bspw. weniger Mobilität entsteht.
So ist das städtische Parkraumkonzept, das auf die Bereitstellung von kostenlosen Parkplätzen setzt, eine Form der Subventionierung von CO2-produzierender Mobilität.
Fehlende Radwege modellieren einen autozentrierten Verkehrsraum, der von nicht motorisierten Vekehrsteilnehmer*innen als strukturelle Gewalt erfahren wird und damit die CO2-produzierende Mobilität befördert.

Solche Grundsatzentscheidungen zu Lasten unserer Kinder sind in allen städtischen Planungen erkennbar. So müssten die gesamten städtischen Planungen in Bezug auf das Wohngebiet Grube Carl unter diesem Blickwinkel hinterfragt werden.

Wie hoch sind bspw. die CO2-Emissionen, die beim Bau von Straßen und Wohnhäusern entstehen? Die Produktion von Stahl und Beton etwa ist extrem klimaschädigend.
Welche CO2-Emissionen werden provoziert, weil kein klimaschonender ÖPNV zur Verfügung steht?
Die Liste klimaschädigender Eingriffe bei derartig großen Baugebieten ist sicherlich Legion.

Solche Fragen können auch hinsichtlich des geplante Gewerbegebiet am Krankenhaus formuliert werden.

Man muss nur wollen.

Oder bedeuten die beiden hier genannten städtischen Entwicklungsmaßnahmen nicht, dass ein klimaschädigender Politikansatz des Wachstums um jeden Preis zu Lasten zukünftiger Generationen unhinterfragt fortgesetzt wird?

Man sollte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Pflichtlektüre für alle politischen Entscheidungsträger*innen machen, denn viel zu viele Entscheidungen, die die Freiheit unserer Kinder negativ beeinflussen, fallen auf lokaler Ebene.

Wieviel Zukunft dürfen wir unseren Kindern und Enkelkindern noch stehlen?