Thema: Grüne
2009, ich war erst vor wenigen Monaten nach Frechen gezogen, erlebte ich meinen ersten Bundestagswahlkampf in Frechen. Die Grünen standen vor der Sparkasse und als allererstes bekam ich einen Spucki in die Hand gedrückt. Ein ganz alter Spucki: ich solle auf meine dicke Karre verzichten, wurde ich damit aufgefordert. Der Spucki war schon etwas verfärbt und machte den Eindruck, als stamme er noch aus dem Wahlkampffundus längst vergangener Tage.

Der Spucki kam mir jetzt wieder in den Sinn, da die grüne Forderung nach einem Veggie-Day allumfassend zerissen wird. Es ist ja schon überraschend, zu welchen Entgleisungen dieser Vorschlag einlädt. Als Ökofaschisten werden sie beschimpft, Herr Brüderle will sich von den Grünen nicht sein Kotelett vom Teller nehmen lassen und auch andere WahlkämpferInnen sind sich für dünne Scherze nicht zu schade.

Man muss nun nicht hingehen und versuchen, die Idee des Veggie-Days schöner zu verpacken, in defensiver Manier auf die Freiwilligkeit hinweisen oder ähnliches. Man muss vielmehr die Grundsatzidee politisch zu vermitteln versuchen, die sich im Veggie-Day verbirgt.
Im Veggie-Day steckt weiterhin und immer noch eine grüne Grundidee: die Idee des ökologischen Verzichts. Wer auf den dicken Karren verzichtet, schützt die Umwelt, wer auf Flugreisen verzichtet, schützt die Umwelt, wer seinen Fleischkonsum reduziert, schützt die Umwelt und nützt im besten Falle Menschen in den Hungerregionen der Welt, da deren leere Mägen mit dem Hunger der für die reichen Ländern produzierten Schlachttiere konkurrieren.

Richtig, die Grünen der 80er haben uns noch erklärt, dass wir die Welt nur von unseren Enkeln geerbt haben und haben die damals nicht falsche und heute immer noch richtige Schlussfolgerung gezogen, dass die Art und Weise der kapitalistischen (auch der „sozialistischen“) Produktion diese Leihgabe zerstört. Damals entstand daraus die Idee, dass der Einzelne durch Verzicht sein Scherflein dazu beitragen kann, das Ausmaß der Zerstörung zu begrenzen.

Es gab daneben bei den Grünen immer auch die Ideen der staatlichen Lenkung: Der Liter Benzin für 5 Mark war mal eine Forderung, Flugbenzinbesteuerung eine andere. Wer im grünen Fundus gräbt, wird noch viele dieser Ideen finden. Hier wird das Steuerrecht dazu benutzt, unerwünschtes gesellschaftliches Verhalten zu verteuern und damit unattraktiv zu machen. Die Erhöhung der Tabaksteuer folgt dieser Logik und ist vermutlich das einfachste Mittel, um Menschen vom Glimmstengel weg zubringen.

Aber, das mit den Steuern ist eher ein sozialdemokratischer Ansatz: gesellschaftliche Änderung mittels staatlicher Regulierung. Die Grünen sind an dieser Stelle individualistischer unterwegs: die grüne Idee lautete ja immer auch: Nicht auf die anderen warten, vorausgehen, zur Not auch alleine, zeigen, dass die Gesellschaft verändert werden kann. Die aktuellen grünen Wahlplakate knüpfen daran an. Das zum Veggie-Day passende Wahlplakat erklärt: „Mit Essen spekulier’ ich nicht“ – „und Du?“
In dem „und Du?“ steckt die Aufforderung, selber aktiv zu werden, nicht auf Vatern Staat, Angie oder sonst wen zu warten.

Hierher gehört der grüne Verzichtdiskurs, der bei den Vertretern des „Weiter so“ so schlecht ankommt, denn Verzicht, das schadet dem Bruttosozialprodukt, Verzicht, das ist spießig, Verzicht ist uncool und so was von unsexy. Und man kann sich darüber so herrlich lustig machen.

Dabei, hat sich in den letzten 20 Jahren so viel verändert? Vermutlich nicht, unsere individuellen Einflussmöglichkeiten sind überschaubar, die staatliche Regulierung erscheint auch suboptimal, erinnert sei an die von der CDU groß angekündigte Energiewende, die sich für uns bisher nur in höheren Strompreisen auszuwirken scheint.
Vor diesem Hintergrund erscheint der individuelle Verzicht als eigenständige politische Strategie nicht unbedingt schlecht abzuschneiden:
Wir können weniger Autofahren, weniger Strom verbrauchen, weniger Fleisch essen. Wissend, dass solche Entscheidungen nur Veränderungen bewirken, wenn viele mitmachen. JedeR für sich und alle zusammen. Graswurzelrevolution hieß das früher mal.

Blöd nur, dass selbst bei den Grünen die Idee des Verzichts und seiner politischen Wirkung nicht mehr präsent zu sein scheint. Dabei, man sollte mal wieder daran erinnern: es war ein Buch, dass zum globalen Verzicht aufrief, das neben anderen gesellschaftlichen Entwicklungen, massiv dazu beigetragen hat, die grüne Bewegung in Deutschland zu befördern. Das Buch hieß: „Die Grenzen des Wachstums“ herausgegeben vom Club of Rome, der schon 1972 dazu aufrief,
„neue Denkgewohnheiten zu entwickeln, die zu einer grundsätzlichen Änderung menschlichen Verhaltens und damit auch der Gesamtstruktur der gegenwärtigen Gesellschaft führen. [...] Zum erstenmal ist es lebensnotwendig, nach dem Preis unbeschränkten materiellen Wachstums zu fragen und Alternativen zu suchen, die dieses Wachsen nicht endlos fortsetzen.“
Es geht also nicht (nur) um das Kotelett des Herrn Brüderle, es geht immer noch darum, in was für einer Welt unsere Enkelkinder werden leben müssen. Man kann nur hoffen, das die Brüderles der Welt dann weniger zu sagen haben. Schöne wäre es, das würde schon bei dieser Wahl gelingen.





travelfox42, Freitag, 13. September 2013, 22:58
Tja, tolle Plakate haben sie ja, die Grünen: "Meine Mudda wird Chef - und du?" Super Sache, der Mutter sei es gegönnt. Aber welche Blüten die sinnlose Frauenquote mittlerweile hervorbringt, sei hier an einem Beispiel geschildert.

"Und du?" Ja, ich würde ja auch gerne Chef werden. Da gab es vor kurzem in meinem großen deutschen DAX-Konzern durchaus ein Programm zur Entwicklung von Führungskräften - aber halt. Nur für Frauen. Dumm nur, dass sich nicht genug gefunden haben. Obwohl man lange und angestrengt gesucht hatte. Anstelle nun auch interessierten Männern die Möglichkeit zu geben, in diese Programm einzusteigen, hieß es: Nur Frauen. Kaum lohnenswert zu erwähnen, dass es vorher nie solche Förderprogramme gab, schon gar nicht welche, an denen stand: Nur Männer! Aber so rum ist die Diskriminierung wohl keine - oh, ich vergaß, das wird heute ja euphemistisch "Positive Diskriminierung" genannt!

Aber als alleinerziehender Vater, der Vollzeitjob, Kindererziehung und Ehrenamt unter einen Hut bringt, passe ich sowieso nicht ins Weltbild. Müsste wahrscheinlich nur 'ne Frau sein....


antoine favier, Montag, 16. September 2013, 10:19
Bereits in diesem Kommentar erkennbar, warum ein Unternehmen kein Geld für ein Förderprogramm für Männer ausgegen muss. Es gibt genügend Männer, die meinen, Chef zu können. Wofür ein "Förderprogramm", wenn Männer, die glauben Chef zu können, einem die Bude einrennen?
Betriebswirtschaftlich eine unsinnige Geldausgabe.
Bei Frauen scheint es anders auszusehen. Da wäre über das "warum" nachzudenken.


travelfox42, Montag, 16. September 2013, 15:11
Oh, ich meine nicht "Chef zu können". Ich meine nur, Förderprogramme sollten geschlechtsneutral formuliert sein, wie es bisher (vor der Frauenquote) auch der Fall war. Und ich finde es unsinnig, Frauen mit der Lupe zu suchen, wenn keine da sind, die sich bewerben... Wir hatten zwei geeignete(!) Kandidaten für eine zu besetzende Teamleiterstelle, da hieß es, tut uns leid, die haben das "falsche" Geschlecht. Man wollte eine Frau und fand keine. Auch nach einem halben Jahr nicht... Sinnvoll?


antoine favier, Montag, 16. September 2013, 18:26
Keine Ahnung, ich stecke nicht im Unternehmen, aber Förderprogramme reagieren auf echte / gefühlte Defizite und wenn ein Unternehmen weibl. Führungskräfte will und keine findet, dann reagiert es vielleicht mit einem Förderprogramm. Die in diesem Fall "geeigneten Kandidaten" männlichen Geschlechts belegen ja gerade meine These, dass Männer, die glauben, "Chef" zu können, vorhanden sind. Da braucht es kein Förderprogramm.