Es ist schon erstaunlich, da gibt es eine Partei, die SPD, die vor wenigen Wochen erst mehrheitlich beschlossen hat, dass Frechen eine Gesamtschule brauche und dies so schnell als möglich.
Und dann gibt es Wählervereinigungen (Soziales Bündnis Frechen und Jungen Alternativen), die sich dem "Aktionsbündnis für eine Gesamtschule" angeschlossen haben und damit bekunden, sich für die schnellstmögliche Einführung einer Gesamtschule einzusetzen.

Das klingt irgendwie eindeutig, oder?

Bis gestern konnte man das glauben – nach der gestrigen Ratssitzung jedoch weiß man, dass Eindeutigkeit in Frechen ein sehr dehnbarer Begriff ist.

Es begann in der Schulausschussitzung vom 20 November 2012 als der Schuldezernent aus einem Schulentwicklungsplan eine „Machbarkeitstudie“ machte. Die Folge: eine sofortige Entscheidung für eine Gesamtschule ist nicht möglich. Ohne Schulentwicklungsplan keine Entscheidungsgrundlage. Aus Sicht der Verwaltung und der großen Mehrheit in der Frechener Politik eine praktische Entscheidung, da man vor den notwendigen Investitionen in die Frechener Schullandschaft zurückschreckt:
Teile des Rates sowie das Aktionsbündnis streben die Gründung einer Gesamtschule an. Aber: Eine erste Schätzung der Folgen hat ergeben, dass mehr als 30 Mio. EUR erforderlich sein werden, um vorhandene Schulen zu sanieren bzw. zu erweitern. Angesichts notwendiger Investitionen insb. im U3-Ausbau ist das nach übereinstimmender Auffassung im Verwaltungsvorstand derzeit (!) nicht darstellbar.
So schrieb es der Schuldezernent der Bezirksregierung. Und die Frechener Politik beugt sich der „übereinstimmenden Auffassung“ des Verwaltungsvorstandes. Genau so stellt man sich ja Politik auch vor. Die PolitikerInnen gehen mit einer eigenen Meinung in eine Sitzung und kommen mit der Meinung der Verwaltung wieder raus.

SPD, SBF und JA gingen in die Sitzungen mit der eindeutigen Ansage, schnellstmöglich eine Gesamtschule zu wollen – am Ende der Schulausschusssitzung war man wohl der Meinung, eine Entscheidung frühestens in 2 Jahren zu treffen, sei immer noch früh genug. Man hat auch eine Festlegung auf die Gesamtschule innerhalb des Gremiums fein vermieden. Genau so beschreibt der Schuldezernent die Situation.
Dem SchulA habe ich zusätzlich empfohlen, nach Klärung des Zeitpunktes der Machbarkeit den anlassbezogenen SEP in Auftrag zu geben, den Entwurf vorzuberaten, ggfls. Varianten auszuschließen und auf dieser Grundlage dann eine Elternbefragung zur Bedürfnisfeststellung durchzuführen. Deren Ergebnis kann dann in den SEP-Entwurf einfließen, der dann vom Rat beschlossen wird.
Der jüngste Beschluss des SchA zu Erarbeitung eines SEP kann verwaltungsseitig zur Abfrage von Angeboten genutzt werden. Eine Beauftragung setzt aber voraus, dass das Zeitfenster bestimmt wird, ab dem der Gutachter die 5 Jahre zum Nachweis der Nachhaltigkeit berechnet. Das wurde noch nicht bestimmt.
Also: es gibt aktuell keinen Termin für die Machbarkeit einer Gesamtschule. Es gibt noch nicht einmal einen fixierten Zeitpunkt, an dem entschieden werden kann, wann denn eine Gesamtschule machbar sein könnte. Und an Stelle der Gesamtschule wird wieder von Varianten gesprochen, die man ausschließt oder auch nicht. Mit anderen Worten: es hätte des Komplangutachtens nicht bedurft, in dem formuliert wurde, dass einzig die Gesamtschule die Probleme der Frechener Schulandschaft lösen könne. Der Schulauschuss hat im Verständnis des Schuldezernenten die Uhren wieder auf Null gestellt.
Aber: das alles ist nicht mehr wirklich relevant: die Haushaltslage entscheidet über die Machbarkeit und erst wenn eine haushalterische Machbarkeit dargestellt wird, wird ein Termin festgelegt an dem man von Neuem beginnt.
Wann, das steht in den Sternen, aber das entscheidet, vermutlich ganz autonom, der Verwaltungsvorstand.

In der gestrigen Ratssitzung wurde in Kenntnis dieser Ausführungen des Schuldezernenten mit einer klaren Mehrheit (CDU, SPD, FDP, Perspektive, SBF und JA) von 39 Stimmen gegen eine von den Grünen beantragte Sondersitzung des Schulausschusses gestimmt, in dem diese Aspekte vertiefend diskutiert werden sollten. Einzig die Grünen stehen noch zur Gesamtschule und damit zum dokumentierten Willen der Eltern der Grundschulkinder.

Da allen Fraktionen die hier zitierten Ausführungen des Schuldezernenten vorlagen, ist davon auszugehen, dass diese Selbstentmachtung der Politik von allen KommunalpolitikerInnen, die gegen den Antrag der Grünen gestimmt haben, mitgetragen wird.

Das Aktionsbündnis kann inzwischen belegen, dass es unter den Eltern der Grundschulkinder in allen Jahrgängen ein ausreichendes Interesse für die Gründung einer Gesamtschule gibt. Eine entsprechende, von der Stadt offiziell ausgeführte Elternbefragung würde dieses Ergebnis mit Sicherheit deutlich bestätigen.

Aber, der Schuldezernent hat in seiner Mail an die Bezirksregierung dafür die richtigen Worte gefunden:
Und da kommt die Krux zur Elternbefragung!
Eine Elternbefragung ist eine „Crux“, da man den Willen der Eltern zur Kenntnis nehmen und möglicherweise darauf reagieren müsste. Wenn doch die Betroffenen bloss untertänig zur Kenntnis nehmen würden, dass unsere Frechener Obrigkeit genau weiß, was für das einfache Volk am besten ist.

Die Mitsprache der Betroffenen entspricht nicht dem Demokratieverständnis der Frechner Politik. Man entscheidet gerne über deren Köpfe hinweg. So auch in diesem Falle. Man hat ja von CDU, FDP und auch der Perspektive nicht viel mehr erwartet. Dass aber „die Teile des Rates“, die die „Gründung einer Gesamtschule“ anstreben, Verrat üben an ihren eigenen Beschlüssen und dies noch nicht einmal als solchen wahrnehmen, das spricht schon für eine ziemlich verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit.

Vermutlich muss dem Prozess der Selbsterkenntnis nachgeholfen werden. 2014 sind Kommunalwahlen.

Ein Postscriptum sei mir erlaubt:
Das Aktionsbündnis hatte die Chupze, bei der Bezirksregierung nachzufragen, ob die sogenannte „Machbarkeitsstudie“ nicht doch die Qualität eines Schulentwicklungsplanes habe.
"Die mir übersandten Unterlagen reichen zunächst als Schulentwicklungsplanung aus
schrieb die Bezirksregierung zurück. Auf Nachfrage der Frechener Stadtverwaltung erschrak sie dann aber doch über ihre sehr positive Antwort und ruderte wie wild zurück.
Diese Anfrage aber wurde von der CDU-Fraktionsvorsitzenden Frau Susanne Stupp, die für 2015 plant, sich zur Bürgermeisterin wählen zu lassen, im Rat als ein „Anschwärzen“ der Stadt bei der Bezirksregierung bezeichnet.

So, so, wenn Bürger und Bürgerinnen sich mit einer Anfrage an übergeordnete Behörden wenden, so wird dies in Frechen als „Anschwärzen“ wahrgenommen.

War es nicht schön früher, Frau Stupp, als man noch in Preußen lebte und sich der Bürger nur in geduckter Haltung der Obirgkeit näherte?

Das Lied vom Kompromiß
Kurt Tucholsky (1919)

Manche tanzen manchmal wohl ein Tänzchen
immer um den heißen Brei herum,
kleine Schweine mit dem Ringelschwänzchen,
Bullen mit erschrecklichem Gebrumm.
Freundlich schaun die Schwarzen und die Roten,
die sich früher feindlich oft bedrohten.
Jeder wartet, wer zuerst es wagt,
bis der eine zu dem andern sagt:
(Volles Orchester)
»Schließen wir nen kleinen Kompromiß!
Davon hat man keine Kümmernis.
Einerseits – und andrerseits –
so ein Ding hat manchen Reiz ...
Sein Erfolg in Frechen ist gewiß:
Schließen wir nen kleinen Kompromiß!«

Und durch Frechen geht ein tiefer Riß.
Dafür gibt es keinen Kompromiß!